Annalen eines Annoholikers – Anno 2205 im Test

von postbrawler 04.01.2016

Anno ist Städtebausimulation in germanischer Reinkultur. Mit Anno 2205, dem aktuellen Teil, blieb fast kein Stein auf dem anderen. Fans und KritikerInnen sehen die Änderungen am Anno-Kernspielprinzip durchaus kritisch, was sich in durchwachsenen, aber vor allem kontroversen Rezensionen niederschlägt. Ist das noch Anno? Ich habe mich dem Langzeittest unterzogen, um mitreden zu können. Zu welchem Schluss ich dabei gekommen bin, lest ihr in meinem Anno 2205-Review.

Annalen eines Annoholikers

Vorweg muss ich dazusagen, dass ich bereits mit 1602 dem Annoholismus verfallen bin, und seitdem mehr oder weniger jeden Teil bis zum letzten Bauplatz durchexerziert habe. Anno ist für mich umständlicher Straßenbau, das Erlernen effizienter Baumuster, und der Balanceakt unterschiedlichste Warenwirtschaftskreisläufe am Laufen zu halten. Zumindest Ersteres ist in guter alter Manier erhalten geblieben. Immer noch werden Straßenzüge im Schachbrett-Prinzip konzipiert, und verschiedenste Produktionsstätten nach akribischen Mustern über den spärlichen Ackerboden verteilt.

Anno2205_intro

Neu in Anno 2205, das wie schon sein Vorgänger in der Zukunft spielt, sind jedoch die Grundlagen der Warenwirtschaft. Wenn im mittelalterlichen Anno mal der Saft ausging, war es eigentlich schon fast zu spät. Wütende Bürger verließen in Scharen die Siedlung, und bis das kostbare Nass wieder in die Lager floss, vergingen wertvolle Minuten. Das konnte auf der obersten Siedlungsstufe schon mal in Hektik, ja sogar Frustration ausarten. Eine Siedlung, der die Grundversorgung wegbrach, konnte sogar das jähe Ende eines Endlosspiels bedeuten. In Anno 2205 wird dieses Feature sprichwörtlich in die Zukunft gehoben. Lieferengpässe und -verzögerungen gehören der Vergangenheit an. Sobald eine Saftplantage und der dazugehörige Verarbeitungsbetrieb stehen, wird die inselweite Bilanz angeglichen, und das Bedürfnis der durstigen BewohnerInnen ist prompt befriedigt. Auch der Einflussradius der Lager, der in früheren Teilen der Serie als Baubegrenzung für Häuser diente, ist abgeschafft. Im neuen Anno kann man Siedlungen überall auf der Inselwelt errichten, die diesmal nicht aus zufallsgenerierten Flächen besteht, sondern aus vorgegebenen Maps. Das senkt zwar den Überraschungseffekt beim Erstellen eines Spiels, macht die Szenarien aber insgesamt interessanter. Auf meiner Startinsel beispielsweise wurde ein Fjord durch Dämme trockengelegt, deren Inbetriebnahme die Energiebilanz deutlich aufpoliert. Auch monumentale Bauten wie gigantische Hängebrücken zwischen den Inselwelten wirken durch die statischen Maps sinnvoll integriert.

Das Setting

Anno 2070 hat es vorgemacht, und den Grundstein für Anno jenseits von Handelsschiffen, Ritterburgen und Trebuchets gelegt. Die etwas dürftige Erklärung dafür, warum es in naher Zukunft noch unentdeckte, saftig grüne Inselwelten auf Mutter Erde geben soll, spart sich Anno 2205 daher gleich, und installiert als primäres Ziel die Besiedelung des Mondes.

anno2205_orbit

Dieses Primärziel dient jedoch offenkundig nicht der Bekämpfung des Platzmangels, sondern des Mangels an Waren, den die Bedürfnisse künftiger Generationen mit sich bringen. Androiden beispielsweise müssen nicht nur aus teurem Silizium, sondern auch aus seltenen Erden gefertigt werden, die es nur auf dem Mond zu finden gibt. Der Energiehunger des 23. Jahrhunderts lässt sich zudem über kurz oder lang nicht mehr mit Windrädern und Gezeitenkraftwerken stillen. Da müssen schon schwerere Kaliber wie Fusionsreaktoren ans Werk. Um die heimische Idylle nicht durch nukleare Verseuchung zu trüben, werden diese Kraftwerke am Mond hochgezogen, und die gewonnene Energie mittels high-Tech-Raumhäfen transferiert. Bis es soweit ist, müssen die einfachen SiedlerInnen aber erst mal zu InvestorInnen  die Aristokraten der Zukunft – befördert werden. Und dieser Weg führt zuvor noch durch ein drittes Setting: die Arktis.

Anno2205_intro

In der kalten Region der Erde müssen Siedlungen im Einflussbereich eines Produktionsgebäudes errichtet werden, dessen Abwärme als Heizung für die witterungsfesten ArktisbewohnerInnen dient. Das zwingt zu einer gänzlich anderen Bauweise als im gemäßigten Süden. Am Mond wiederum können Siedlungen nur im Schutz eines Schildgenerators errichtet werden, der dem immerwährenden Meteoritenschauer des Erdtrabanten trotzt. Waren und Energie können mit klassischen Handelsrouten zwischen den Welten hin- und hertransportiert werden. Über ein globales Übersichtsmenü kann man diese Routen mit Schiebereglern adjustieren. Auf der Übersicht befinden sich auch Handelspartner, denen man nicht wie früher den Krieg erklären, aber denen man weitere Inselgruppen und Mondkrater für Erspartes abkaufen kann. Wie schon auf der Startmap hat jedes dieser Gebiete eine spezielle Mission, die man nebenbei erledigen kann und auch sollte, denn dadurch lässt sich die Knappheit grundlegender Ressourcen wie Energie, Arbeitskraft, Lagerplatz und Transport bekämpfen. Auch Nebenmissionen und Handelsposten sind auf den Karten zu finden, wodurch die Kampagne von Anno 2205 geschickt ins Endlosspiel integriert wurde.

Für Kriegerische

Ein Aspekt von Anno, auf den vor allem SchönbauerInnen und PazifistInnen immer schon liebend gerne verzichten konnten, ist der Echtzeitstrategie-Part, in dem mit schwerem Gerät gegen FeindInnen und KonkurrentInnen vorgegangen werden musste. In Anno 2205 wird Krieg nur auf zwei separaten Karten geführt, und das sogar gänzlich optional. Mit Kriegsschiffen gilt es dabei die Arktis von fiesen Umweltterroristen der „Orbital Watch“ zu befreien. Mehr als schnödes Schiffchen versenken in Point-&-Klick-Manier mit gelegentlichen Spezialkräften ist dabei aber leider nicht rausgekommen. Die gegnerische Fraktion könnte generischer kaum sein, und die Missionen spielen sich so abwechslungsreich wie eine Partie „Hau den Lukas“. Immerhin verdient man sich mit dem Abschluss einer Kampfmission Mineralien, die anschließend für die Erweiterung von Produktionsgebäuden investiert werden können. Obwohl die Missionen glücklicherweise optional sind, empfiehlt mir ein Verbündeter – gefühlt alle 10 Minuten – doch mal wieder die Orbital Watch zu bekämpfen. Da wünscht man sich doch die langwierigen, aber wenigsten sinnvoll integrierten Geplänkel um Bauplätze aus dem alten Anno zurück.

Fazit

Anno 2205 macht vieles anders als seine Vorgänger, und manches sogar besser. Die Befürchtung, dass das Anno-Spielprinzip unter dem Kahlschlag weichgespült oder gar zerstört worden wäre, kann ich nach etlichen Stunden Spielzeit entkräften: Anno 2205 ist immer noch eine Wirtschaftssimulation vom Feinsten und hart an der Grenze zum Suchtmittel. Transportrouten zu optimieren, SiedlerInnen zu befördern und blaupausenartige Flächenwidmung zu betreiben, macht nach wie vor wahnsinnig viel Spaß und vermag für Stunden zu motivieren. Kritikpunkte am neuen Anno muss man wirklich mit der Lupe suchen. So mag das Kampfsystem für manche SpielerInnen, die der Eroberung gegnerischer Inselwelten etwas abgewinnen konnten, doch zu banal geraten sein. Der Wegfall von Naturkatastrophen und Warenengpässen reduziert zudem die Möglichkeit für Fehler und falsche Entscheidungen. Das macht Anno einerseits einsteigerfreundlicher, könnte aber hartgesottenen PerfektionistInnen zu wenig fordernd erscheinen. Die Integration der Kampagne ins Endlosspiel löst einen der größten Kritikpunkte des Vorgängers, sorgt aber mit vorgegebenen Maps auch für einen Mangel an Überraschungseffekten und taktischer Tiefe. Nach zwei futuristischen Annos würde ich mir als nächstes wieder ein mittelalterliches Anno mit Windmühlen, Förstern und Wehrburgen wünschen, dass all die logischen und konsequenten Verbesserungen der letzten Teile aufgreift und im selben Ausmaß verfeinert. Und nichts Besseres kann einer erfolgreichen Wirtschaftssimulation deutsch-österreichischen Ursprungs passieren, als dass sich ein Fan der ersten Stunde nach sechs Teilen auch noch einen Siebten wünscht!

Wertung: 8.5 Pixel

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