Atomic Heart Test: Frankensteins Monster?

von Mathias Rainer 19.03.2023

Dobryy den, Genossen! Im heutigen Atomic Heart Test begeben wir uns auf eine Reise in eine utopische Sowjetunion der fünfziger Jahre. Eine fantastische Parade der Überlegenheit Mütterchen Russlands erwartet uns! Spektakel, Staunen, Ehrfurcht erwartet Sie! Oder wird es doch eher eine Tour de Force durch ein Albtraumszenario? Ein erschreckender Blick hinter geschönte Kulissen? Voll von obszönen Momenten, denen man sich eher nicht freiwillig aussetzen möchte? Kommen Sie, kommen Sie! Finden wir es gemeinsam heraus, liebe Mitgenossinen und Mitgenossen. Exklusiv für Sie werden alle Eindrücke vom Abenteuer durch Atomic Heart auf der Playstation 4 offen gelegt.

Atomic Heart Test:

Frankensteins Monster (made in Russland)?

Grundprämisse

Wie ihr bereits dem Launch-Trailer oben entnehmen könnt, platziert uns Entwickler Mundfish in einer utopischen Sowjetunion der fünfziger Jahre. Die UDSSR hat zwar wie auch in der Realität den zweiten Weltkrieg (mit)gewonnen, geht anders als in der Wirklichkeit viel gestärkter aus diesem hervor. Der Grund dafür ist ein von Dr. Dmitry Sechenow gefundenes Polymer, welches in der Folge genutzt wurde um den technischen Fortschritt in der Sowjetunion auf eine neue Ebene zu heben. Durchbrüche in der Gentechnik, hochentwickelte Roboter oder die bemannte Raumfahrt bereits in den Fünfzigern (und damit weit vor den Amerikanern) bis hin zur Kolonialisierung der Planeten unseres Sonnensystems – all das aufgrund der Entdeckung des Polymers.

In der Welt von Atomic Heart ist Dr. Sechenow daher ein Volksheld. Zu Beginn des Spiels stehen wir kurz vor dem Go-Live seines nächsten großen Durchbruchs: des Kollektiv 2.0. Eine Verbindung zwischen KI-gesteuertem Computernetzwerk und allen Bürgern der Sowjetunion. Eine neue Sprache oder Klavierspielen innerhalb von Sekunden lernen? Nach der Scharfschaltung von Kollektiv 2.0 alles kein Problem mehr. Kurz vor diesem historischen Punkt der Geschichte wird unser Hauptcharakter Sergey Nechayev – ein Kriegsveteran der UDSSR mit Codename P-3 – zu seinem Vorgesetzten, ebenjenem Sechenow zitiert. Wir steigen an einem Zeitpunkt ins Spiel ein, wo die Feierlichkeiten inklusive Parade für Kollektiv 2.0 bereits voll im Gange sind.

Ähnlich wie in Bioshock Infinite bei der erstmaligen Betretung von Columbia streifen wir erstmal vollkommen unberührt von sonstigem Gameplay durch die Straßen um die technischen Wunder der Sowjetunion zu bestaunen. Diese Passage ist erstaunlich gut gelungen. Nicht nur, dass hier ob der Hommage und der friedlichen Atmosphäre erstmalig ein nostalgisches Feeling an den vormals genannten Shooter-Klassiker aufkommt. Durch die vielen kleinen Stationen am Wegesrand werden wir auch direkt in eine authentische und glaubhafte Welt gezogen. Wir kommen etwa an einem Denkmal für einige der historischen Ereignisse vorbei, welche uns auf diesem Weg näher gebracht werden.

Dabei betritt auch beiläufig ein älterer Bürger gestützt von seinem Roboter-Diener die Szenerie, welcher sich an diese Zeit erinnert und an den Fortschritt, der seit dieser Zeit passiert ist. Ein Detail, welches eventuell beim schnellen durchschreiten dieses Abschnitts komplett vorüber geht, aber im Zusammenspiel mit all den anderen Faktoren ein sehr konkretes Bild dieser Welt zeichnet. Ich habe mir für diesen Abschnitt über eine Stunde Zeit genommen und so kam ich erst relativ spät nach Spieleinstieg im pompösen Showroom unseres Herrn an um unseren heiß erwarteten Auftrag entgegen zu nehmen. Der Befehl lautet nun Viktor Petwow, einen Abtrünnigen genialen Wissenschaftlern zu finden, der das ganze Kollektiv 2.0-Vorhaben vereiteln will.

Natürlich schreiten wir ohne mit der Wimper zu zucken zur Tat, um diesen Befehl auch pflichtbewusst auszuführen. Schließlich ist Sechenow für uns als Protagonisten auch so etwas wie eine Art Vaterfigur. Im Wawilow-Komplex – dem Aufenthaltsort von Petrow – angekommen, werden wir jedoch bereits mit den Auswüchsen von dessen Verrat konfrontiert. Petrow hat nämlich sämtliche, eigentlich friedlichen Haushaltsroboter in den Kampfmodus versetzt. Diese laufen nun im gesamten Komplex Amok und stellen sich uns bei unserer Suche nach dem Wissenschaftler in den Weg.

Es beginnt nun ein Spießrutenlauf, welcher uns zuallererst einmal den linear aufgebauten, unterirdischen Wawilow-Komplex erkunden lässt. Dieser ist erst einmal dazu da, um uns die grundlegenden Gameplay-Mechaniken näher zu bringen. Nach einiger Zeit kehren wir allerdings wieder an die Oberfläche zurück. An dieser Stelle öffnet sich für uns eine halb-offene Welt, in der wir neben dem Abklappern der Hauptstory-Orte noch allerlei weitere Nebenschauplätze erkunden können. Werden wir in der Lage sein, Petrow und seine wildgewordenen Roboter zu stoppen?

Es entfaltet sich mit Fortdauer der Handlung eine Geschichte mit zahlreichen Wendungen und Plottwists. Gedächtnisverlust in Kombination mit einer Vaterfigur kommt euch doch sicherlich etwas vertraut vor oder? Wahrscheinlich spielt später im Game noch ein emotionaler Verrat eine gewichtige Rolle im Treiben…

Kern-Gameplay

An dieser Stelle habt ihr sicherlich bereits erkannt, auf was ich mit den Anlehnungen hinaus wollte, oder? Atomic Heart bedient sich nicht nur optisch ob des Art-Designs am Bioshock-Franchise, es entlehnt sich auch was die Story und die Spielmechaniken angeht sehr viel von diesen Games. In der Ego-Perspektive steuern wir P-3 durch großteils verwüstete, düstere Gänge. Hinter jeder Tür kann bereits der nächste wild gewordene Dienstroboter lauern, der uns an den Kragen gehen will.

Um uns zu verteidigen werden wir mit einem Arsenal an Waffen ausgestattet. Dieses besteht neben einer Axt für den Nahkampf auch aus Klassikern wie der Schrotflinte, einer MP, einem Maschinengewehr oder einem Raketenwerfer. Zusätzlich stehen uns nach kurzer Zeit auch eine Reihe von übernatürlichen Kräften zur Verfügung, welche stark an die Plasmide aus ebenjenem Bioshock erinnern.

Wir können Gegner zum Beispiel mittels Blitzen elektrisieren und sie so für kurze Zeit bewegungsunfähig machen. Alternativ können wir unsere Feinde auch ganz einfach einfrieren. Eine andere Variante wäre, dass wir feindliche Blechhaufen mittels Telekinese in die Luft heben und sie dann zu Boden werfen. Natürlich können wir unsere Kräfte an gewissen Checkpoints auch verbessern. Das gilt ebenso für unseren Charakter, für den wir etwa mit genügend Erfahrungspunkten die maximale Energie oder seine Schadensresistenz gegenüber Element verbessern können. Das gilt ebenso für die Bewegungsgeschwindigkeit von P-3, was auch ganz allgemein ein nützlicher Skill ist. Im Spiel gibt es nämlich keinerlei Möglichkeit zu Laufen?

Upgrades gibt es außerdem für unsere Waffen. In nicht zu selten in der Welt verteilten Truhen findet wir zum einen eine Vielzahl an verschiedenen Herstellungsmaterialien und an manchen Stellen sogar neue Baupläne für unsere Schießeisen. Neben einem größeren Magazin oder mehr Schaden können wir unsere Spielzeuge auch mit Elemtentar-Kapseln versehen. Die Knarren haben dann zusätzlich zu ihrer herkömmlichen Wirkung einen ähnlichen Effekt wie unsere Kräfte. Wir können Gegner somit verbrennen, einfrieren oder schocken.

Diese Vielzahl an Verbesserungen sind im Game nicht nur sinnvoll sondern tatsächlich fast schon lebensnotwendig. Das Spiel ist nämlich selbst auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad alles andere als eine reine Schießbude. Mundfish schlägt mit ihrem Titel damit in eine ähnliche Kerbe wie ein anderer von mir gespielter Hardcore-Shooter, nämlich Wolfenstein II: The New Colossus. Anders als bei diesem habe ich den Schwierigkeitsgrad bei Atomic Heart nun auf Leicht heruntergeschraubt. Ganz einfach um das fluffige Gunplay-Feeling eines Bioshock auch in diesem Game zu erhalten. Aber selbst auf dem Easy-Mode “Friedliches Atom” ist das Spiel noch immer einigermaßen fordernd. Einen reinen “Walk in the Park” dürft ihr euch also nicht erwarten.

Atomic Heart besteht jedoch nicht ausschließlich aus Kämpfe gegen Mobs oder mächtige Bossgegner. Zwischen den Ballereien müsst ihr öfters auch noch mal mehr mal weniger knifflige Rätsel lösen. Diese kommen in verschiedenen Standard-Formen daher. Zuweilen gibt es auch ein paar für das Game einzigartige Knobelaufgaben. An anderen Stellen forciert das Spiel von euch, dass ihr schleichend vorgeht. Und zwischendurch müsst ihr – um im Level weiterzukommen – sogar Parcour-Einlagen durchführen. Wie gut alle diese Gameplay-Mechaniken im Spiel selbst eingewoben sind, werden wir uns nun jeweils im Detail vornehmen.

Atomic Heart Test 1

Die Kräfte in Atomic Heart erinnern an die Plasmide aus Bioshock. Quelle: www.mundfish.com

Gute Ideen, starke Umsetzung

Es gibt im Game grundlegend 3 große Punkte, welche abseits der Shooter-Passagen regelrechte Leuchttürme an gut umgesetzten Ideen beheimaten. Neben dem verdammt guten Art-Design bestechen vor allem die allermeisten Rätsel und – gänzlich unerwartet – auch das Leveldesign der linearen Abschnitte.

Natürlich sticht das visuelle Artwork hier als erstes ins Auge. Bereist in der Walking-Simulator-Passage zu Beginn des Spiels erhascht man schon einige richtig fantastische Anblicke auf sowjetische Propaganda-Plakate oder abwechslungsreiches Roboter-Design. Hier hat Mundfish sein Pulver aber noch nicht innerhalb der ersten paar Minuten verschossen, sondern kann das Level bis zum Ende des Titels halten. Gerade später im Game, etwa wenn man eine fast schon märchenhafte Traumsequenz durchlebt oder man die beiden Ballerina-Zwillinge in Aktion sieht, muss man dem Art-Department der Entwickler einfach Respekt zollen.

Auch die Level-Abschnitte sind im Game durchgehend optisch unterschiedlich genug gehalten, sodass jeder Komplex seine eigene Geschichte erzählt. Diese reichen von diversen Forschungslaboren über Verwaltungsebenen bis hin zu einem Untergrund-Theater. Diese Passagen sind außerdem an vielen Stellen abgezweigt, weshalb oft viele Wege und über unterschiedliche Methoden ans Ziel führen. Einige Pfade führen zudem zu gänzlich optionalem Content. Man muss sich den richtigen Verlauf also erarbeiten. Der Weg zum Questziel ist nicht immer der gerade, und dieser wird einem schon gar nicht auf dem Silbertablett serviert.

Übertroffen hat sich meiner Meinung auch fast ein wenig das Rätsel-Department (insofern es so eines bei Mundfish überhaupt gibt) – zumindets für einen Ego-Shooter. Ich hätte nicht gedacht, dass ich im Spiel mit einer solchen Anzahl an unterschiedlichen und vor allem unterhaltsamen Puzzles konfrontiert werde. Dabei gibt es natürlich auch die Standard-Typen, welche einem das Weiterkommen versperren und die erstmal gelöst werden wollen. Wo es bei anderen Spielen jedoch maximal 2, 3 verschiedene Varianten gibt, besticht Atomic Heart mit zumindest 5 verschiedenen.

Man muss etwa innerhalb weniger Sekunden den Rhytmus der blinkenden Stöpsel herausfinden und diese im richtigen Moment hineindrücken. Ist das geschafft kann man das Schloss an der Tür entfernen und der weitere Weg steht einem offen. Eine weitere Variante ist, dass man eine vorgegebene Reihenfolge von maximal 3 Farben anhand der Drehscheibe am Türschloss nachbildet. Wieder eine andere Version wäre, dass man den Code zum Knacken des Türschlosses anhand verschiedener Elemente im Leveldesign findet – etwa liegt ein Zettel mit dem Code am Boden neben einer Leiche.

An anderen Stellen muss man die 3 Laserstrahlen gemäß der Vorgabe so umlenken, dass die richtige Farb-Kombination der Strahlen entsteht. Durch diese verschiedenen Variationen an kleinen Mini-Puzzles stumpfen diese kleinen Unterbrechungen des eigentlichen Kern-Gameplays bestehend aus den Shooter-Einlagen praktisch nie ab. Einen darauf legen können dann noch einmal die individuellen Rätsel.

“Bringe die 4 Ballerinas so zum tanzen, dass sie die Morde an den Mitarbeitern nachstellen” war eine anfangs knifflige, aber durchwegs unterhaltsame Angelegenheit (so morbide das auch klingen mag). Im Rahmen einer am Papier eigentlich ziemlich langweilig klingenden Fetch-Quest müssen wir für einen Roboter einen Arm zurück beschaffen und dabei eine Runde Snake (ja, das Handyspiel) zocken. Auch das war im Kontext der Aufgabenstellung sehr unerwartet, aber für die kurze Dauer sehr lustig.

Innerhalb der gleichen Hauptquest müssen wir dann auch noch einem Murmelrätsel bewältigen. An der Stelle ist unser Protagonist ob der Sammelaufgabe bereits mega genervt und kommentiert unseren hilflosen Versuch, die Murmel in das Loch zu befördern – ein Kommentar der Entwickler, dass sie zwar wissen, dass wir uns an dieser Stelle vermutlich gerade selbst in den Hintern beißen.

Atomic Heart Test 2

Eine der Rätsel-Variationen im Spiel: knacke das Schloss innerhalb der vorgegebenen Zeit. Quelle: www.mundfish.com

Gute Ideen schlecht umgesetzt

Ein am Papier richtig gutes Konzept von Mundfish war jenes, sämtlichen im Spiel zu findenden Loot aus Schubladen, Truhen, Spinden etc. per “Saugmechanik” von unserem magischen Handschuh (der, der uns auch unsere Kräfte verleiht) ohne einzelnes Betätigen der R1-Taste für jedes Objekt einzusammeln. Der Plan war, dass uns sämtliche Gegenstände des gesamten Aktenschrankes per einzelnen Knopfdruck gesammelt zufliegen. Das funktioniert in der Praxis aber leider nicht immer so perfekt wie gewünscht, nervt sogar auf Dauer, weil man auch nur dann alles einsammelt, wenn man bei den einzelnen Schubladen mehrere Sekunden davor verweilt. Wenn man so ein manisches “ich muss alles looten”-Syndrom hat wie ich, ist das für jeden der zig Schränke im Spiel einfach ein Horror.

Und wo wir gerade beim Meckern unb die Mechaniken des Handschuhs sind: wer beim Entwicklerteam hatte überhaupt die Idee, deinen über das ganze Spiel lang begleitenden Partner als eigentlich hüllenlosen, besserwisserischen Handschuh mit Namen Charles einzubauen. Charles ist jetzt zwar nicht per se schlecht umgesetzt, allerdings haben uns bereits Spiele von vor 10 Jahren wie etwa GERADE eines der großen Vorbilder dieses Titels Bioshock Infinite mit der sympathischen Elizabeth deutlich besser gemacht. Unser Handschuh funktioniert hier eher als Werkzeug, denn als waschechter Begleiter mit Story-Relevanz.

Achtung Spoiler-Absatz! Einzig ganz am Ende kommt in diesem Charakterbogen noch einmal Fahrt auf, was zu einem (für mich unvorhergesehenen) von 2 möglichen Enden führt. Wo ich während der gesamten Reise noch fest davon ausgegangen bin, dass die Fronten von Gut und Böse klar verteilt sind, wurde ich am Ende dann doch noch einmal von Charles überrascht. Allerdings erst die letzten 30 Minuten des Spiels. Für die gesamte Zeit davor war die Charakter-Zeichnung unseres Begleiters eher fragwürdig und im Rückblick wäre ich noch immer der Meinung, dass man mit mehr Fingerspitzengefühl für gute Charaktere hier mehr hätte reißen können.

Auch weitere Personendarstellungen fallen in dasselbe Muster. Wieso man sich bei Mundfish dazu entschied, den Protagonisten des Spiels als vulgären, permantent fluchenden Befehlsausführer darzustellen, der bei vielen der Zocker wahrscheinlich keinerlei Sympathien auslösen wird, ist aus meiner Sicht mehr als fraglich. Ich gebe zu, ich hatte mit P-3 während des Spiels eigentlich nie ein Problem, fand ihn teilweise sogar manchmal witzig. Mir ist jedoch bewusst, dass ich hier zu einer Minderheit gehöre und es die meisten Zocker als störend empfinden.

Das Problem mit der Open World in Atomic Heart

Warum dieses Spiel eine Open World gebraucht hat, können uns vermutlich nicht einmal die Entwickler selbst beantworten. Sie rechtfertigen es nämlich mit keinem einzigen Grund. Die Landschaft zwischen den wenigen wirklich relevanten Punkten ist großteils uninteressant – bis auf das nach wie vor hervorragende Artdesign natürlich. Es gibt zwar einige Points of Interest in der Ferne zu bestaunen, wirklich zu ihnen vordringen kann man ob der Limitierung der Welt in den meisten Fällen dann aber sowieso nicht. Und wenn es einmal ein Versteck zu entdecken gibt, dann wartet dort auf immer nur Standard-Loot.

Wie cool wäre es gewesen, wenn man während der Erkundung in der offenen Welt auf einen Geheimgang stößt, an dessen Ende man eine Truhe mit einer tollen Erweiterung für unsere meistgenutzte Waffe looten könnte. Stattdessen gibt es nur ein paar stinknormale Crafting-Gegenstände von denen wir 100 weitere brauchen um uns etwsa bauen zu können. Durch den austauschbaren Loot wird einem hingegen jede Freude an einer Erkundung der Welt genommen.

Ganz schlimm ist auch eine weitere wahnsinnig frustende Mechanik, welche ganz organisch während der Reise durch die Oberwelt passiert. Wenn man sich nämlich nicht aktiv vor den gefühlt millionen von Überwachungskameras versteckt, schlagen diese Alarm und es attackieren uns innerhalb kürzester Zeit ganze Horden von feindlichen Robotern. Diese zu besiegen hat aber so gar keinen Sinn, denn sobald wir einmal das ganze Feld geräumt haben, kommen einfach ein paar Drohnen angeflogen und bauen die kaputten Blechhaufen wieder zusammen.

Die wenigen Gegnertypen die es im Spiel gibt und die für sich genommen auch alle wahnsinnig toll design sind, nutzt sich nach wenigen Stunden komplett ab. Egal an welche Stelle man in der Welt kommt, überall trifft man auf die selben Drohnen, Roboter oder mutierten Menschen. Selbst Bosse aus der Hauptstory werden aus Mangel an anderem Content für x-beliebigen Side-Content recycled.

Diese oben erwähnte Wiederbelebung hat im Endeffekt dazu geführt, dass  ich praktisch nie eine ruhige Minute in der Open World hatte, insofern ich nicht permanent im Schleichmodus unterwegs war. Das Spiel legt uns zwar an diesen Stellen sogar nahe, dies zu tun, allerdings passt die so überhautp nicht in das generelle Gameplay des Spiels und in eigentlich allen Fällen hat es sich hier eher bewährt, einfach zum angezeigten Zielort zu laufen (oder mit den  zahlreichen Autos in der Welt zu fahren). Diese Zielorte sind dann entweder die nächsten Checkpoints für die Hauptstory oder einer von den vielen Testgelände, welche uns das Spiel als optionalen Content ebenfalls anbietet.

Diese Testgelände sind am ehesten mit den optionalen Herausforderungsgräbern aus der neueren Tomb Raider-Trilogie vergleichbar. Sobald ihr diese geöffnet habt könnt ihr in diesen Untergrundleveln eine Reihe von Rätseln lösen um an besonders wertvolles Loot wie Waffenverbesserungen zu gelangen. Diese Belohnungen werden euch auf der Karte beim Fahren über das Testgelände auch angezeigt. Das ist zwar cool wenn man dort ein Upgarde für eine Waffe bekommen würde, die man nicht verwendet. Es unterbindet aber komplett den bereits angesprochenen Entdeckertrieb, den eine gut gemachte Open World auszeichnet.

Atomic Heart Test 3

Auch eine Open World à La Fallout darf in Atomic Heart natürlich nicht fehlen. Quelle: www.mundfish.com

Soundtrack

Wenn die Mucke von Mick Gordon ertönt, sind das immer wieder aufs Neue coole Momente, während ich Horden von Feinden über den Haufen schieße. Generell erinnert sein Schaffen hier an z.B. die Tracklist von Doom Eternal. Generell gibt es im Atomic Heart-Soundtrack aber einen ganzen Blumenstrauß an unterschiedlichen Genres. Neben den Metal-Tönen hätten wir da etwa noch eine Auwahl an Klassischer Musik (Beethovens Mondlicht Sonate etwa wird begleitend zum Gameplay stimmungsvoll in Szene gesetzt), Songs aus den 70ern und 80ern (im Game witzig gemeint als “Musik aus der Zukunft bezeichnet”) und den bereits erwähnten Metalchören.

Die Stücke funktionieren einzeln in den jeweiligen Momenten richtig gut. Dennoch wirkt es ganzheitlich betrachtet, als ob man sich nicht auf ein übergeordnetes Thema einigen konnte. Man wollte von allem etwas und hat dadurch die Linie – den roten Faden – verloren. Außerdem hat man es bei Mundfish verabsäumt, den richtigen Ausstieg der Musik passend zur Situation zu finden. Es ist mir einige Male passiert, dass ich aus einem Gefecht begleitet von Metalcore geflohen und mich in eine ruhige Ecke zurückgezogen habe. Das hat das spiel allerdings nicht gecheckt nun noch Minuten später (wo ich bereits wieder friedlich am looten war) grölenden Töne ausgespuckt.

Atomic Heart nutzt Comics um seine Bioshock-ähnlichen Kräfte gut verständlich zu erklären. Zocker von Bethesda-Spielen kennen dieses Prinzip aus den Fallout-Titeln.

Weitere handfeste Schwachpunkte

Einige der Punkte, welche zwar generell gut gemeint waren, aber einfach nicht gut umgesetzt wurden, haben wir ja bereits abgehandelt. Hier noch ein paar weitere Mechaniken, welche im Spiel einfach gänzlich deplatziert wirken:

Dialoge oder die – in Videospielen mittlerweile so inflationär verwendeten – Audiologs brechen ab oder überlappen sich (insofern man nicht auf der Stelle stehen bleibt um sich diese mehrere Minuten lang komplett anzuhören) sondern man einfach weiterspielt und einen gewissen Punkt im Level überschreitet. Teilse kann man sich Audiologs überhaupt nur über Menüs anhören und sobald man aus diesen geht stoppt das File. Obwohl der Einsatz von Audiologs nun wirklich keine Neuerung im Gaming-Kosmos ist, haben das weitaus ältere Spiele bereits um Welten besser umgesetzt.

Das Game ist leider bei weitem auch nicht freih von handfesten Bugs. Selbst mit dem Patch 1.08 durfte nich noch Zeuge von einigen wirklich ärgerlichen Aktionen werden, welche mich beim privaten zocken eventuell dazu veranlasst hätten, das Spiel auszumachen. Und zwar: die gesamte Kletter-Mechanik funktioniert einfach nicht Mundfish! Will man auf eine der Gelb markierten Flächen zum Klettern springen, so funktioniert das in 3 von 4 Fällen schon einmal überhaupt nicht. Nein, man muss genau die richtige Stelle des gut 10 Meter langen Querträgers anspringen, damit unser Charakter die Hände ausbreitet und sich festhält. Eine Kennzeichnung an welcher Stelle sich der Trigger befinder gibt es natürlich an der Stelle nicht.

Weil es sich hierbei um Kletter- sowie Sprungpassagen handelt kann es natürlich passieren, dass man an der falschen Stelle runter fällt und denselben Trott noch einmal durchführen muss. Oder schlimmer: man bleibt beim Fallen in einer nicht modellierten Stelle im Spiel stecken, kann sich nicht mehr bewegen und ist dort für den Rest seines Lebens gefangen. Es sei denn natürlich man ladet den letzten Spielstand neu. In dem Fall kann es aber natürlich passieren, dass die letzte Speicherstelle des Spiels bereits 10 Minuten her ist. Generell kann man das Game nämlich nur an gewissen Savepoints manuell speichern. Die Auto-Saves sind auf der anderen Seite so willkürlich verteilt, dass man bei jedem Tod Gefahr läuft, bereits erfolgreich absolvierte Passagen erneut zu spielen.

Das einzig positive Beispiel das mir in Bezug auf diese ganze Jump’n Run-Mechaniken einfällt, ist der Kampf gegen einen der ersten Bosse im Spiel. In dem Fight es tatsächlich eher weniger darum, den Gegner mit Bleikugeln vollzupumpen. Stattdessen muss man den schnellen Angriffen in richtiger Folge ausweichen, hüpfen und dann gezielt zuschlagen. Hier kann ich jedoch auch nur auf meine Erfahrung auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad zurückgreifen. Ob dieser Abschnitt auf “Schwer” genauso lustig ist, wage ich an dieser Stelle einmal zu bezweifeln.

Atomic Heart Test 4

Das Design der Roboter ist zwar fantastisch, es gibt allerdings wenig Abwechslung im Spiel. Quelle: www.mundfish.com

Flickenteppich

Wir fassen nochmal zusammen: Atomic Heart hat gefühlt tausend Vorbilder und ebenso viele Ideen, welche die Entwickler von Mundfish alle in das Game integrieren wollten. Zu viele Köche verderben aber bekanntlich den Brei. Genau das gleiche könnte man an dieser Stelle auch über Atomic Heart sagen. Es wurden derart viele Mechaniken in den Titel verwurschtelt, dass es fast schon wie ein Flickenteppich an nicht zusammenpassenden Stoffen wirkt.

Auf der einen Seite will man bei Mundfish eine düstere, komplexe Story à la Bioshock Infinite inszenieren, kommt dann aber mit fragwürdigem Humor und einem für viele nicht nachvollziehbaren Protagonisten um die Ecke. Eigentlich würde man gerne einen anspruchsvollen Ego-Shooter wie in einem Wolfenstein mit Half-Life-Elementen (Gravity Gun) präsentieren, garniert das Gameplay dann aber mit Parcour-Elementen wie aus Dyling Light, welche überhaupt nicht zu den restlichen Mechaniken und schon gar nicht zur Steuerung passen. Unterlegt hat man sämtliches Gameplay durch dröhnenden Metalcore, oder nein, wollen wir nicht lieber klassische Musik einspielen? Ein bisschen 80er-Pop ist sicher auch gut, der ist ja gerade wieder groß in Mode.

Weil das heutzutage nun mal Gang und Gebe ist muss natürlich neben den linearen Levelpassagen auch eine Open World wie aus einem Fallout inklusive Schlüsselknacker-Minigame reingepackt werden. Gerade die Open World wirkt im Kontext des restlichen Spiels überhaupt nicht wie ein durchdachtes Konzept. In dem frei erkundbaren Areal zwischen den Komplexen oder den Testgeländen, welche stark an die Gräber aus Tomb Raider angelehnt sind, gibt es praktisch nichts nennenswertes zu tun. Hier hat sich keiner Gedanken gemacht, für was dieses ganze Landschaft eigentlich hätte gut sein können. Interessante Nebenquests von NPCs wie aus Bethesda-Rollenspielen oder Loot, welcher unseren Entdeckerdrang auf der Suche nach der nächsten mächtigen Verbesserung schürt, findet man aber natürlich vergeblich.

Atomic Heart Test 5

An einer Stelle im Spiel referenziert das Game eines seiner großen Vorbilder direkt. Quelle: www.mundfish.com

 

 

Atomit Heart Test: Frankensteins Monster (made in Russland)?

In Atomic Heart steckt im Kern ein wirklich gutes Spiel, welches in die gigantischen Fußstapfen eines Bioshock hätte treten können. Hierfür fehlt dem Titel aber am Ende leider aber doch einiges und vor allem Struktur. Die führenden Köpfe von Mundfish sind eben (noch) keine genialen Creative Directoren wie eben Ken Levine. Mit dem Semi-Open-World-Ego-Shooter mit Parcour-und-Schleich-und-Crafting-Elementen wollten die Entwickler zu viel in das Game stopfen und haben dabei aber verabsäumt, die einzelnen Mechaniken und Elemente miteinander gut zu verbinden.

Hinzu gesellen sich noch eine ganze Reihe von kleinen, aber in der Masse dafür sehr nervigen Punkten wie die Sammel-Mechanik, die sich überlappenden Audiologs oder die nicht gut modellierten Einstiegspunkte beim klettern. Vom für die Allgemeinheit einfach nur unsympathischen Hauptcharakter und anderen fragwürdigen Design-Entscheidungen mal ganz abgesehen. Unter Strich operiert Atomic Heart deshalb auf einem soliden Niveau, der jedoch mit keinem seiner großen Vorbilder im Detail mithalten kann.

Wem das jedoch egal ist, gerne mal wieder ein Bioshock-Like zocken will oder das kreative Sowjet-Setting anspricht, der kann mit Mundfishs zusammengeschustertem (Frankensteins) Monster aus diesen vielen Einzelteilen dennoch viel Spaß haben. Ein Must-Play für jeden Gamer wie viele seiner Inspirationsquellen ist Atomic Heart jedoch keines.

Wertung: 7.9 Pixel

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