Pokémon Karmesin/Purpur Test (Nintendo Switch): Neue Freiheiten, alte Schwächen
Mit Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur erwarten uns die aktuellsten Ableger des Monster-Fang-Franchise. Was kann die offene Welt?
Die Frage ist berechtigt: In Pokémon Karmesin (getestet) und Pokémon Purpur – zur Website des Spiels – ist nämlich eine der größten Neuerungen eine offene Welt. Anstatt euch wie bisher auf einen ziemlich linearen Pfad zu setzen und euch eine Herausforderung nach der anderen zu bieten, gehen die neuesten Haupttitel einen anderen Weg. Und zwar spielt sich der neueste Eintrag der Serie in Paldea ab, die ihr nach kurzer Zeit selbständig und (fast) ohne Einschränkungen erkunden dürft. Zudem gibt es nicht mehr bloß die Jagd nach den Arena-Orden, man hat sich etwas einfallen lassen. Game Freak stellt dieses Mal gleich drei Hauptaufgaben zur Verfügung, denen ihr nach Lust und Laune nachgehen könnt. Ob ihr nun dem Weg des Champs, der Straße der Sterne oder dem Pfad der Legenden folgt, ist vollkommen euch überlassen!
Über Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur
Mittlerweile ist das Pokémon-Franchise ein unüberschaubares Kaliber geworden. Für alle, die sich nicht genau mit der Serie beschäftigen, hier ein kleiner Überblick: Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur läuten (Vorsicht, Leute ab 30!) die mittlerweile neunte Generation von Monster-Fang-Spielen ein. Besonders macht diese Games der Open-World-Stil, der bereits in Ansätzen aus Pokémon Schwert und Schild sowie Pokémon-Legenden: Arceus bekannt ist. Auch, wenn wir nach wie vor kein richtiges MMO mit sämtlichen Pokémon bekommen haben (es ist an der Zeit, Game Freak!), so sollen die neuesten Titel schon ein wenig in diese Richtung gehen. Die frei erkundbare Region von Paldea ist an sich schon eine Neuerung in den Spielen, und natürlich gibt es auch völlig neue Pokémon zu entdecken.
Dazu zählen etwa Felori, Krokel und Kwaks (die Starter-Monster), Koraidon und Miraidon (von den Covern bekannt) sind ebenso mit von der Partie. Auch in den aktuellsten Ablegern gibt es eine Menge von Funktionen, die für die Langzeitmotivation sorgen. So gibt es sogenannte Tera-Raids, in der ihr terakristallisierte Monster gemeinsam bekämpfen und im Anschluss fangen dürft. Das gab es schon so ähnlich unter einem anderen Namen mit dynamaximierten Pokémon in den Vorgängerspielen. Klar ist auch, dass ihr gegeneinander kämpfen dürft, die Taschenmonster tauschen dürft, einen Pokédex füllen sollt, es legendäre Pokémon gibt, und auch ein Kampf-Stadion (aus Schwert und Schild bekannt) gibt es erneut. Was macht Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur noch so anders?
Anleihen von Pokémon-Legenden: Arceus
Die offene Welt beziehungsweise das Erkunden der Region wurde in Arceus komplett neu gedacht. So gab es dort keine Zufallskämpfe mehr, und das Fangen von Pokémon lief ganz anders ab. Da musstet ihr euch anschleichen, den Ball richtig werfen und mehr – das war eine frische Abwechslung zu all den Hauptteilen zuvor! Eure Pokémon hatten dann außerhalb eines Kampfs natürlich auch eine Aufgabe, so konnten sie für euch Beeren erbeuten, Ressourcen abbauen und mehr. In Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur könnt ihr nun euer erstes Monster im Team losschicken, um in freier Wildbahn entweder Gegenstände einzusammeln oder sie gegen andere Monster kämpfen lassen – ganz ohne euer Zutun. Eine kleine Lebensleiste links unten zeigt den Zustand des aktiven Taschenmonsters an.
Zudem lässt euch das Spiel mit bis zu drei Mitspieler:innen die Welt erkunden, und auch in den neuesten Titeln der Serie ist es klasse, wie vielfältig man sich fortbewegen kann. Zu Lande, im Wasser und in der Luft ist es möglich, die Region von Paldea zu erkunden. Alles deutet also darauf hin, dass Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur das wohl größte und erfolgreichste Spiel des Franchise sein wird, richtig? Gleich vorweg: Das Game ist riesig und gespickt mit verschiedenen Details, sodass die Hardware – die Nintendo Switch – langsam echt an ihre Grenzen stößt. Was in Arceus schon aufgefallen ist, wird hier ebenfalls sichtbar: Ruckler und teils matschige Texturen treten immer wieder auf. Das lässt sich durch die Technik aktueller TV-Geräte halbwegs kaschieren, der Handheld-Modus lügt aber nicht.
Altbekannter Einstieg für Jung und Alt
Falls ihr schon irgendwann einmal ein Pokémon-Game gespielt habt, kennt ihr euch auch schon aus: Es gilt, in der Welt anzukommen und eure Figur kennenzulernen. Im Fall von Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur dürft ihr diese auch anpassen, so stehen euch verschiedene Optionen zur Auswahl. Es gibt kein Geschlecht zur Auswahl, nur einen eher männlichen oder eher weiblichen Körpertyp. Beim Rest könnt ihr Mix & Match betreiben, wie ihr wollt: Zahlreiche Haarstylings, Augenfarben, Wimpern, Augenbrauen, Mundtypen, Muttermale und auch Sommersprossen sollten ausreichen, damit ihr eine Figur nach euren Wünschen erstellen könnt. Die einen pfeifen auf Individualisierung, andere führen das Argument ins Feld, die Figur stundenlang sehen zu müssen und investieren eine Weile – auch gut!
Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur schreibt es sich auf die Fahnen, sowohl für Neulinge wie auch für Alteingesessene ansprechend zu sein. Dementsprechend werdet ihr von Null weg abgeholt – das ist für Neueinsteiger:innen zwar sehr gut, aber Pokémon-Versierte empfinden den Beginn des Spiels als Bremse. Was sich wie Kritik anhört, ist aber in Wahrheit ein ganz normaler Punkt bei den Spielen der Serie, man hat schon immer eine Weile spielen müssen, bevor sich etwas tut. Das ist auch bei den aktuellsten Games der Fall: Erst, nachdem ihr in das erste Dorf gereist seid und die richtigen Hände geschüttelt habt, öffnet sich die Region von Paldea so richtig. Hier spielt der Titel dann auch seine Stärken immer weiter aus, aber seid gewarnt – der Anfang ist ganz Pokémon-typisch langatmig.
Drei Wege und noch mehr
Nachdem ihr dann den Beginn durchgestanden habt, könnt ihr drei Wege im Spiel verfolgen. Das ist aber keine Entscheidung von entweder-oder, sondern viel eher sind drei Hauptquests stets aktiv. So etwas erinnert wieder an Arceus, wo ihr einen Haufen Aufgaben parallel erledigen konntet und auch musstet. Die Straße der Sterne lässt euch Team Rocket Star besiegen, die sich in Verstecken in der gesamten Region verschanzen. Ihr sollt in diese Verstecke eindringen und mit kleinen Einschränkungen für Furore sorgen. Taucht dann ein Boss dieser Team-Splittergruppen auf, macht ihr den ebenfalls platt. Das macht Laune und empfiehlt sich, wenn ihr starke Pokémon mitführt. Es ist gut, dass in Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur diese Quests oft nahe beinander liegen, da geht alles in einem Schritt.
Weiters dürft ihr den Pfad der Legenden verfolgen, das euch zu verschiedensten Herrscher-Pokémon bringt. Für die Story sucht ihr sagenumwobene Geheimgewürze, und während der Reise werdet ihr immer wieder mal besonderen Monstern begegnen. Wollt ihr allerdings die klassische Route wählen, so bietet Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur diese natürlich an. Auf dem Weg des Champs besucht ihr insgesamt acht Pokémon-Arenen. Sind alle Arenaleiter besiegt, erhält eure Spielfigur den Champ-Rang. Bevor die Arenaleiter allerdings herausgefordert werden können, muss in jeder Arena eine Arenaprüfung absolviert werden, erst dann kann der Arenaleiter herausgefordert werden. Danach warten die Top Vier und natürlich der absolute Champion auf euch – es ist halt ein Pokémon-Spiel!
Das macht Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur aus
Als klassischer Titel der Reihe machen Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur vieles anders, aber nicht alles. So werden die Monsterchen ausschließlich in den typischen Pokémon Kämpfen gefangen, was in Arceus anders praktiziert wurde. Wie vorhin schon erwähnt sind eure Monster immer dabei, attackieren aber auf Wunsch wilde Monster automatisch und sammeln dadurch eine kleine Menge an EPs für das Team, ohne dass ihr einem kompletten Kampf beiwohnen müsst. Mit einem Pokéballwurf oder durch Berühren beginnt ihr einen Kampf gegen die jederzeit sichtbaren Pokémon, es ist also euch überlassen, wann ihr kämpfen wollt. Das ist einerseits eine gute Neuerung, etwa wenn ihr schon Gesundheitsprobleme bei eurem Team feststellt, andererseits fehlt der Überraschungseffekt ein wenig.
Gleichzeitig führt Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur das Spiel in der dritten Dimension ein. Im Vergleich zu den vorigen Haupttiteln (wie immer ist Arceus da die Ausnahme) könnt ihr hier viel mehr in der Vertikalen erkunden, nicht umsonst gibt es etwa Leitern in den Städten. Das wird natürlich in Form von Gegenständen und Technischen Maschinen belohnt, dank denen eure Pokémon neue Attacken erlernen dürfen. Apropos neu im Kampf: Im neuesten Ableger gibt es nun die sogenannte Terakristallisation. Sie lässt die Monster à la Swarovski glitzern und verändert nebenbei ihren Typ, was den rundenbasierten, taktischen Schlachten im Game noch mehr Tiefe verleiht. Das wird wohl online im Kampf gegen andere Menschen wichtig! Terakristallisieren funktioniert einmal pro Poke-Center-Besuch.
Interessantes zu Pokémon Purpur
Das Spannende an der Pokémon-Reihe ist ja, dass es mittlerweile über 1.000 verschiedene Taschenmonster gibt. Wie eingangs erwähnt: Wer da nicht Schritt hält, hat spätestens nach zwei Generationen den Überblick vollends verloren. Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur führen diese Tradition fort, denn im Spiel warten 400 verschiedene Monster auf euch. Während das (wieder mal!) nicht sämtliche Monster sind, die es jemals gab, führen die Games dafür insgesamt 103 neue Monster ein. Das Design dieser neuen Pokémon reicht wie zu erwarten von grottig über ansehnlich bis hin zu ziemlich genial – die Optik bleibt Geschmackssache. Cool ist aber, dass man bei den neuen Figuren selbst als absoluter Fan wieder etwas zu sehen bekommt, was man nicht schon längst kennt.
Auch, wenn ich den Side-Titel Arceus schon ein paar Mal angesprochen habe: Man muss Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur mit Schwert und Schild vergleichen. Da hat sich dann doch einiges getan, etwa laufen die Trainerkämpfe anders ab: Anstatt ins Blickfeld zu laufen, müsst ihr die Trainer direkt ansprechen. Ob diese Änderung nun gut ist oder nicht, bleibt euch überlassen. Technische Maschinen können nun bei speziellen Gerätschaften von euch hergestellt werden, werden aber nach der Verwendung zerstört. Es heißt also sammeln, wenn ihr zu den Min-Maxern gehört! Zum allerersten Mal habt ihr in einem Pokémon-Spiel auch eine Mini-Map auf dem Bildschirm, was angesichts der riesigen Welt auch eine gute Idee ist. Aber es gibt Grenzen, die das Spiel gerne überschreitet.
Ruckelige Animationen, matschige Texturen, das Gras eine Frechheit: Was soll das?
Zu groß für sein eigenes Wohl
Schon die erste Stadt, die ihr im Spiel besucht, gibt euch das Gefühl, dass hier alles ein wenig zu groß geraten ist – oder eure Figur zu klein. Treppen sind wahnwitzig breit, die Welt und deren Laufwege ziehen sich anfangs ungewohnt in die Länge, und insgesamt entsteht hier echt ein MMO-Eindruck. Als kleine Figur in einer Riesenwelt werdet ihr zwar dazu eingeladen, die Umgebung zu erkunden, aber irgendwie ist das Unterfangen weniger verlockend, als es das sein könnte. Licht wechselt sich durchwegs mit Schatten ab – so sind die Naturgebiete beeindruckend geraten, wohingegen die bewohnten Städte und Dörfer im Vergleich erschreckend leer und leblos wirken. Auch, wenn sich dort natürlich ein paar Charaktere tummeln, für das richtige Feeling reicht das Gebotene nicht aus.
Schnell hat man den schuldigen Faktor ausgemacht: Die Hardware der Nintendo Switch ist mittlerweile schon mehr als fünf Jahre alt, und Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur ist zweifelsohne ein ehrgeiziger Titel. Doch um das Game trotzdem auf die Handheld-Konsole zu zwingen, waren einige Kompromisse nötig – Game Freak ist da jeden einzelnen eingegangen. Selbst, wenn man als absoluter Fan der Meinung ist, dass Grafik nicht das Wichtigste ist: Sogar Nicht-Spieler:innen fallen die technischen Fouls schon innerhalb den ersten Spielstunden auf. Es ist brutal, wie sehr bei manchen Texturen der Sparstift angesetzt wurde – oft meint man, dass das Entwicklerstudio Platzhalter-Dateien im fertigen Spiel belassen hat. Das ist leider keine blumige Umschreibung, sondern bittere Realität.
Die Technik von Pokémon Karmesin
Habt ihr das Monster gefangen oder nicht? Der Pokéball zuckt, wackelt und bewegt sich, während die Kamera immer näher zoomt. Eigentlich sollte dies ein Moment der Spannung und der Freude sein, ist aber in der Realität Grund zum Grausen. Je näher ihr kommt, umso lauter werden die Gedanken: Warum ist das Gras so hässlich, diese Dachziegel-Textur verwaschen, und wieso ruckeln die Animationen von Nichtspielercharakteren, die grade mal einen halben Bildschirm Abstand zur Hauptfigur halten? Wo man auch hinsieht, sorgt die Optik für Kopfschütteln: Schnell ist das Erstaunen über die offene, große Welt einer Fassungslosigkeit gegenüber der Technik gewichen. Was die Grafik angeht, so ist dies mit Abstand der schwächste Punkt in Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur. Es ist zwar hart zu schreiben, muss aber angesprochen werden: Was soll das?
Da hilft es nur bedingt, dass der Rest von Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur seine Arbeit toll verrichtet. Dazu gehört natürlich auch die Soundabteilung, die auch hier genau so funktioniert, wie es Game Freak beabsichtigt. Alles wird je nach Stimmung passend untermalt, mal gemütlich, mal energetisierend und mal richtig abgedreht. Auch bei der Steuerung hat sich vieles getan, so ist alles noch übersichtlicher geworden (ein cooler Pokédex macht da nur den Anfang), der Titel kann von allen Altersgruppen gespielt werden und ihr könnt so gut wie überall Schnellreisen durchführen. Schade ist es nur, dass Letzteres ganz klar zu empfehlen ist, weil die Grafik das Game im Alleingang runterzieht. So ersetzt ihr dann teilweise tragische Optik-Entscheidungen durch eine Vielzahl von längeren Ladezeiten.
Das Fazit: Ambitioniert mit einem Aber
Es tut dem Fan fast schon weh: Einerseits sind Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur so richtig fortschrittlich und führen das Franchise in eine Zukunft, die rosig zu sein scheint. Die offene Welt tut dem Game gut, und es ist klasse, mehr als nur eine Aufgabe zu haben, die drei Wege sind toll. Andererseits ist es unverständlich, was sich das Studio von Game Freak bei der Grafik gedacht hat. Ich bin der Letzte, der sich bei Spielen rein auf die Optik stürzt, ansonsten hätte ich Games wie Undertale oder Suikoden nie gespielt. Aber was hier abgeht, ist ein Crash-Kurs in all jenen Dingen, die in Spielen schief gehen können: zu geringe Draw Distance, ruckelige Animationen, Pop-in-Effekte, matschige Texturen, lieblose Dekorationen und leere Städte sind an der Tagesordnung, und das zieht das Erlebnis runter.
Visuell ist das Spiel also kein Hit – genug, nun wechsle ich das Thema. Die Nichtspielercharaktere bieten kaum Abwechslung, und der Einstieg ins Spiel ist eine Sache von mehreren Stunden. Bis ihr das Game mit all seinen Facetten genießen könnt, müsst ihr schon eine Weile investieren. Das ist zwar Usus für einen Pokémon-Titel, sollte aber hier nochmal erwähnt werden. Während also der schiere Umfang und das Potenzial große Punkte sind, die für das Spiel sprechen, solltet ihr bezüglich der Technik gewarnt sein. Bei allem, was die neuesten Ableger richtig machen: Gleichzeitig sind Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur das aktuellste Beispiel dafür, dass die Nintendo Switch am Limit ihrer Leistung angelangt ist. Die Kompromisse, um so ein großes Spiel damit zu spielen, werden nur noch größer!