Tearaway Unfolded (PS4) im Test

von David Kolb-Zgaga 08.09.2015

2013 erschien ein kleines, aber feines Spiel namens Tearaway für die PS-Vita. Die Kreativität, die die bunte Papierwelt ausstrahlte, und vor allem auch die geschickte Nutzung der PS-Vita machten Tearaway zu einem großen Erfolg. Nun starten Sony und Media Molecule (Little Big Planet) den ambitionierten Versuch, das Spiel mit Tearaway Unfolded nicht nur auf die PS4 zu portieren, sondern den Titel auch sinnvoll zu erweitern. Ob dieses Vorhaben gelungen ist, verrate ich euch in meinem Test.

Herrlich bunte Papierwelt

Ähnlich wie Sackboy aus Little Big Planet ist auch Iota (in der weiblichen Form Atoi) ein sehr einprägsamer und ungewöhnlicher Charakter. Der zierliche Körper besteht nämlich zur Gänze aus Papier, und auf dem Korpus thront ein großer Briefumschlag, der dem Boten als Gesicht dient. Wie Iota besteht die ganze Spielwelt aus herrlich buntem Papier und wirkt so, als hätten die EntwicklerInnen persönlich alles mit Pappmaschee überzogen. Die meisten BewohnerInnen der Welt sind gefaltet und können sogar nachgebastelt werden (dazu später mehr). Überhaupt schafft es Tearaway Unfolded aus mehreren Gründen, sehr gut Bezug zur Realität bzw. zur vierten Wand herzustellen. Ein Grund dafür ist die Story: Zwei sehr gute gesprochene Erzähler sprechen mich (als Spieler) eher beiläufig als „höheres Wesen“ an und erklären mir, dass ich Iota auf seiner Reise helfen solle. Erschwerend für ihn kommt hinzu, dass durch ein Loch in der Welt böse Papierschnipsel eindringen und die Flora und Fauna mit hässlichem Zeitungspapier überziehen.

Man merkt schon: Die Geschichte von Tearaway Unfolded richtet sich nicht bzw. nicht ausschließlich an Erwachsene. Das ist prinzipiell nichts Schlechtes, jedoch braucht das Spiel ein bisschen Zeit, bis es spielerisch und storytechnisch in die Gänge kommt. Ist es dann aber soweit, schafft es Tearaway Unfolded, mit der geschickten Einbeziehung der vierten Wand eine schöne Geschichte über Freundschaft zu erzählen.

Die vierte Dimension

Im Grund ist Tearaway Unfolded ein Jump-’n’-Run inklusive Puzzle-Einlagen, die relativ simpel sind. Allerdings gibt es da ja noch den/die SpielerIn als das höhere Wesen, was für gehörige Abwechslung sorgt und den geringen Anspruch vergessen macht. Gleich zu Beginn muss ich Iota den Weg leuchten, und ich spreche hier nicht in Metaphern! Aktiviere ich das Licht, fällt ein Lichtkegel in Form der Leuchtleiste des PS4-Controllers auf die Spielewelt. Das sieht dann folgendermaßen aus:

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Die Bewegungssensoren des Gamepads führen meine Bewegungen genau aus, wodurch Bereiche erhellt und später auch Widersacher geblendet werden. Außerdem gibt es immer wieder musikalische Aspekte in der papierenen Welt von Tearaway Unfolded, so auch Trommeln. Jeder Gegenstand, auch Iota, der sich auf einer dieser Trommeln befindet, wird mit einem Druck auf das Touchpad hochkatapultiert. Diese Mechanik nutzt die Levelstruktur geschickt aus, um Iota an höher gelegene Stellen zu transportieren, Feinde aus dem Bildschirm zu schubsen oder schwer erreichbare Gegenstände zugänglich zu machen. Mit einem Wisch über das Touchpad können Winde erzeugt werden, mit denen man z. B. Blätter ausrollt und dadurch neue Wege bzw. Brücken entstehen lässt.

Die coolste und immersivste Mechanik ist aber, wenn Iota einen Gegenstand durch den Bildschirm zu mir in mein Wohnzimmer wirft. Das klingt unglaublich und ist fantastisch umgesetzt! Sobald der Gegenstand die Mattscheibe „durchbricht“, fängt mein Gamepad das Objekt auf, und es rollt durch die Soundausgabe des PS4-Controllers darin herum. Dieses und auch die anderen Features wurden so kreativ und beeindruckend umgesetzt, dass ich mich manchmal wirklich wie ein höheres Wesen fühle (nein, kein Gottkomplex, viel mehr geografisch gesprochen). Mit diesen Features zeigt Media Molecule, wie perfekt man das PS4 Gamepad in ein Spiel einbauen kann. Das passiert aber nie zum Selbstzweck, sondern ist großartig in die Spielewelt integriert und lässt mich den etwas enttäuschenden Schwierigkeitsgrad vergessen.

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Alles zum Nachbasteln

Außerdem wird dieser ein wenig angehoben, wenn man mit Iota nach versteckten Geschenken sucht bzw. diese nach Erfüllung von kleineren Aufgaben überreicht bekommt. So muss der quirlige Papiermensch z. B. fünf Eichhörnchen in einem Basketballkorb versenken. Das ist eine spaßige Abwechslung und schaltet außerdem Bastelanleitungen für Charaktere und Gegenstände von Tearaway Unfolded frei. Besonders wenn man den Titel mit Kindern spielt, ist das Nachbasteln der Figuren eine großartige Ergänzung. Dabei macht sich erneut bemerkbar, wie kreativ und detailliert die Spielewelt von Tearaway Unfolded designt wurde: Jeder Charakter, jedes Blütenblatt und jede Wolke am Himmel wurde so gestaltet, dass diese theoretisch auch in der realen Welt aus Papier nachgebaut werden kann. Genau aus diesem Grund wirkt Tearaway Unfolded wie aus einem Guss. Es macht einfach Spaß, durch die Welt zu laufen und die geschickt (von Vita auf PS4) umgebauten Levels zu erkunden.

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Juhu, ich bin im Fernsehen!

Als zusätzliche Features können sowohl die Companion App als auch die PS4-Kamera verwendet werden. Mit der App kann man als „höheres Wesen“ Wände und Böden mit im Spiel gemachten Fotos vollkleistern. Die Kamera hingegen filmt euch, zeigt euer Gesicht im „Riss“, durch den die bösen Papierschnipsel eindringen, und verstärkt dadurch weiterhin den Eindruck einer Parallelwelt im Fernseher. Das sind zwar nette Extras, wenn man jedoch keine Kamera besitzt und die App nicht nutzen möchte, bringt dies keinen spielerischen Nachteil – was die Features zwar „nice to have“, aber auch verzichtbar macht.

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Fazit

Tearaway Unfolded ist viel mehr als ein HD-Remake für die PS4. Der Titel ist, wie schon die Version der PS Vita, enorm kreativ und nutzt – so sinnvoll wie kein anderes Spiel bisher – das PS4 Gamepad. Selten in einem Spiel habe ich ein so gut durchdachtes Gameplay-Design gesehen, wie es Media Molecule hier auf den Bildschirm zaubert. Besonders mit Kindern ist Tearaway Unfolded ein großer Spaß, da hier auch der Bastelfaktor hinzukommt. Der Zielgruppe ist es aber geschuldet, dass Tearaway Unfolded ein wenig zu einfach ist und erwachsene SpielerInnen dabei wohl den einen oder anderen Durchhänger haben. Dennoch sollten sich Letztere von der kindlichen Gestaltung nicht abschrecken lassen und dem Titel eine Chance geben, denn er bietet ein Spielerlebnis, das seinesgleichen sucht, und zeigt sehr viel Mut zu Innovation.

Wertung: 8.5 Pixel

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