Dragon Age: The Veilguard im Test – Ein Familien-Quest
Zehn Jahre mussten Fans nach Dragon Age: Inquisition auf eine Fortsetzung des Fantasy-RPG-Klassikers warten. „Dragon Age 4“ war lange Zeit eine der verbreitetsten Antworten, wenn Zocker:innen nach ihren heißersehntesten Videospielen gefragt hat. Doch trotz all dem Hype sind BioWare‘s beste Zeiten längst vorbei. Nach Klassikern wie Baldur’s Gate und Shattered Steel in den 90ern etablierte das kanadische Studio sich mit den Mega-Hits Baldur’s Gate II: Shadows of Amn (2000), Mass Effect 1 + 2 (2007 + 2010) und Dragon Age: Origins (2009) als wohl DAS AAA-Rollenspiel-Haus der Videospielindustrie. Nach einigen eher polarisierenden Releases a la Mass Effect 3, Dragon Age II, Mass Effect: Andromeda und Anthem sowie etlichen unternehmerischen und internen Problemen brachen im Laufe der 2010er Jahre allerdings schwierige Zeiten für BioWare an.
Auch Dragon Age: The Veilguard wurde ursprünglich als Dragon Age 4 im Jahr 2018 mit einem sehr vagen Teaser angekündigt, war seitdem aber von zahlreichen personellen Veränderungen und damit vielen größeren Veränderungen in Sachen Design, Gameplay und auch Name geplagt. Entsprechend skeptisch und schützend gegenüber ihrem geliebten Dragon Age Universum blickten Fans daher auf den vierten Teil der Fantasy-Reihe, die 2022 erst den Titel Dragon Age: Dreadwolf, und dann erst im Juni diesen Jahres den Namen Dragon Age: The Veilguard erhielt.
Dennoch hat sich beim Release der Mass Effect: Legendary Edition im Jahr 2021 gezeigt, dass die BioWare-Fancommunity nach wie vor stark ist. Wie stellt sich Dragon Age: The Veilguard also den haushohen Erwartungen und wie geht es mit der krisengeplagten Welt Thedas weiter? Wir haben in 70 Stunden Spielzeit jeden Winkel des aktuellen Titels erkundet und berichten euch davon.
Dragon Age: The Veilguard ist bereits für PlayStation 5, Xbox Series und PC verfügbar.
Eine Dragon Age Origin-Story
Ausschlaggebend für den Start von Dragon Age: The Veilguard ist neben der Handlung des Vorgängers vor allem die Post-Credit-Scene von Inquisition. Darin gibt sich der Elf namens Solas – einer der Wegbegleiter des dritten Teils – als der alte elfische Gott der Täuschung und Rebellion Fen’Harel zu erkennen. Der auch Dreadwolf (dt. Schreckenswolf) genannte Gott war bisher als solcher nicht aktiv, ist nun aber erwacht und schmiedet Pläne. Pläne, die uns direkt in den Prolog von Dragon Age: The Veilguard führen.
Entgegen der populären Meinung der elfischen Mythologie, sind die meisten alten Elfengötter in der Tat keine allzu umgänglichen Persönlichkeiten, wie Solas uns bald verkündet. Die Götter Ghilan’nain und Elgar’nan sind sogar für den Ausbruch und die Verbreitung der in der Dragon Age Welt berüchtigen Blight (dt. Verderbnis) verantwortlich, weshalb sie der Dreadwolf in einer Rebellion vor langer Zeit in ein Sphärengefängnis verbannt und dieses mit dem Veil (dt. Schleier) verschlossen hat. Der Veil ist Fans bereits seit Dragon Age: Origins bekannt, denn er ist das Einzige, was unsere Welt, von der der Dämonen trennt.
(c) BioWare
Klingt eigentlich wie eine gute Idee, oder? Falsch. Offenbar hat der Gott der Rebellion beschlossen, diesen krassen Eingriff in die Ordnung der Welt wieder rückgängig zu machen, den Veil zu zerstören und die Sphären wieder zu vereinigen. Den dabei durch die wahnsinnigen und verdorbenen Götter sowie die losbrechende Dämonenhorde entstehenden Schaden möchte er dabei einfach „minimal halten“. Sprechen wir besser nicht weiter über die debattierbare Schlüssigkeit dieser Entscheidung und akzeptieren wir am besten einfach das Setup für The Veilguard. Im Prolog verhindern wir in der Protagonist:innen-Rolle namens Rook zusammen mit den bereits bekannten Held:innen Varric und Harding und einem der vielen großartigen Neuzugänge Neve die Zerstörung des Veils. Ghilan’nain und Elgar’nan entkommen durch unseren Kampf mit Solas jedoch, während dieser nun selbst in das Sphärengefängnis geworfen wird. Die Mission für Dragon Age: The Veilguard lautet also: Aufhalten der verderbten, machthungrigen Elfengött:innen und das Verhindern der größten Blight der Geschichte von Thedas.
(c) BioWare
Schon im Prolog erfahren wir um einiges mehr über die Ursprünge und Hintergründe der Welt von Thedas, als wir bisher wussten. Und diese Aufgabe des World-Buildings nimmt der vierte Teil der Dragon Age Spiele auch weiterhin sehr ernst. Auf den Spuren der elfischen Gött:innen, den Ursprüngen der Blight, dem Schicksal der Titanen, der Rolle der Zwerge, des wertvollen Lyrium-Kristallen, der Rolle von Geistern, der Überlieferungen der berühmten Grey Wardens und der Kultur der Qunari bekamen wir ein weitaus umfassenderes und tiefer gehendes Bild der Welt Thedas und fühlen uns – bei allen Qualitäten der vorherigen Teile – nun erstmals wie ein Teil dieser.
Denn genau das ist Hauptcharakter Rook. Je nach bei der Charaktergenerierung gewählter Origin-Story und Profession ist Rook nicht einfach der oft übliche leere Spieler:innen-Avatar. Rook ist eine Person mit Verbindungen, einem Ruf und Beweggründen, auf denen wir als Spieler:innen die Entscheidungen im Laufe von The Veilguard fußen lassen können. Und nicht nur die verschiedensten NPCs, denen wir im während unserer Abenteuer antreffen reagieren entsprechend auf uns, auch die großartige Ansammlung von Team-Mitgliedern, die Rook um sich sammelt, fühlen sich echt an.
Ein Quest für (fast) die ganze Familie
Ein Himmelfahrts-Kommando. Ein charismatischer Anführer als Protagonist:in. Ein wild zusammengewürfeltes Team aus völlig unterschiedlichen Kulturen und Herkünften. Hat hier jemand Mass Effect 2 gesagt?
Die Formel, nach der Dragon Age: The Veilguard abläuft, ist tatsächlich sehr vergleichbar mit dem Aufbau des Scifi-Mega-Hits. Denn den Großteil von The Veilguard verbringen wir damit ein Team von sieben kunterbunten Spezialist:innen aus allen Bereichen zu rekrutieren und ihren jeweiligen Herkunfts-Fraktionen unter die Arme zu greifen. Auf diese Weise wollen wir unsere Ausgangsposition für das große, höchst riskante Finale so ideal wie möglich gestalten. Keine Beschwerde von unserer Seite jedoch – wieso nicht ein Vorbild an einem der besten RPGs aller Zeiten nehmen? Und Rook’s Teammitglieder sind (inkl. der jeweiligen Hintergründe) großartig geschrieben.
(c) BioWare
Mit Charme, Witz, Dramatik, Skill und last but not least auch Romantik erfüllt BioWare das Team mit Leben und lässt sie uns allesamt ans Herz wachsen. Von der mit ihrer Vorbildrolle ringenden Magier-Detektivin Neve, der non-binären Qunari Drachenjäger:in Taash, dem dämonenbesessenen Assassinen Lucanis bis hin zum Nekromanten Emmerich, der seine Sterblichkeit fürchtet und Lace Harding, die die Ursprünge des Zwergenvolkes erkundet – in Dragon Age: The Veilguard sammelt man ein Team um sich und arbeitet am Familienzusammenhalt. Hier und im Umgang mit Fraktionen wie den Shadow Dragons aus Tevinter oder den Veil Jumpern in Arlathan Forest trägt uns eine starke Ideologie durch das Spiel: Zusammen sind wir stärker.
Licht- & Farbenspiel
Wie wir seit dem ersten Trailer im Jahr 2022 wissen, ist Dragon Age: The Veilguard erstmals nicht aus technischen Limitationen heraus, sondern aus Design-Entscheidung heraus, in einem stilisierten Artstyle gehalten. Während manche Fans sich daran stoßen, fanden wir uns am laufenden Bande beeindruckt von den großartigen Szenerien, den trotz der Stilisierung realistisch anmutenden Charakteren und dem sehr ausdrucksstarken Umgang mit Farben und Licht wieder. Auch technisch beeindruckt The Veilguard Großteils. So sieht das Spiel mit (selektivem) Ray Tracing und tollem Subsurface Scattering wahnsinnig lebendig aus. Auf unserer Nvidia GeForce 3090 lief das Spiel auf Ultra-Settings außerdem bei 4k-Auflösung ohne die kleinste Schwäche durchgehend auf 60fps (dem Limit unsres Bildschirms). Für die bei Release alle 20 Minuten vorkommenden Crashes (, die inzwischen gefixed wurden) gibt es dennoch Abzug!
(c) BioWare
Je nach Teammitglied und verbündeter Fraktion herrscht meist ein bestimmter Farbton und eine passende Lichtstärke. So zeigt sich Taash’s Heimat Rivain in hellem Sonnenschein und die Kleidungsstile aller Charaktere sind in blassem Türkis und kräftigem Rot gehalten. Eine Entscheidung, die sogar mit Lore untermauert wird. In Emmerich’s Nekropole hingegen herrschen Schatten und gespenstische Grüntöne, die aus Urnen, Feuerbecken und leeren Augenhöhlen lodern. Wir sind wahrlich begeistert von der Kreativität und Schlüssigkeit, die die ohnehin bereits reiche Diversität in Dragon Age: The Veilguard unterstützt und einfacher unterscheidbar macht.
(c) BioWare
Etwas enttäuschend fanden wir hingegen die geringe Abwechslung im Monster-/Gegnerdesign. Während es spannend war, die berüchtige Dark Spawn, bekannte Dämonen wie Rage oder Doubt sowie Venatori-Magier in mehr Detail als bisher zu sehen, funktionieren alle Gegnerfraktionen nach demselben Muster: normale Nahkämpfer, normale Fernkämpfer, bessere Nahkämpfer, bessere Fernkämpfer, kolossale Monster und Bosse. Gerade letztere waren im Laufe des Spiels leider eine Enttäuschung. Denn so episch sich unser erster Drachenkampf anfühlte, so sehr war der fünfte Drache schon wie ein normaler Dienstag im Held:innen-Büro. Und leider gab es an Bossen nicht viel mehr Variabilität als die immer gleichen überschweren Untoten, mächtige humanoide Magierwesen und (verderbte) Drachen. Wir hätten uns mehr erwartet!
(c) BioWare
Zurück im Dragon Age
Unser Resümee ist also: Ja, wir sind zurück im Zeitalter von Dragon Age. BioWare hat sich auf seine alten Stärken besonnen und diese in Sachen Charaktertiefgang, Story, Hintergrundgeschichte und Worldbuilding mehr als bewiesen. Hinzu kommt ein großartiger stilisierter Artstyle, der mit mutigen Farben und sowohl aus Technik- als auch Designsicht großartig umgesetzter Lichtstimmung ein Spektakel auf unseren Bildschirm gezaubert hat.
(c) BioWare
Auch das bisher unerwähnte Kampfsystem ist für uns ein großer Pluspunkt. Während man im Stil von Vorgänger Inquisition nach wie vor die Zeit anhalten und seine Teammitglieder dirigieren kann, ist das Combat stark von Spielen wie God of War (2018) und Assassin’s Creed Odyssey inspiriert. Während wir klassische Turn-based Rollenspiele durchaus lieben, fühlt sich das hoch dynamische Hacken und Slashen in Kombination mit (magischen) Skills sehr episch an und ist so kurzweilig, dass wir uns mit einem grimmigen Lächeln in jede Konfrontation gestürzt haben.
Das größte Kompliment, das wir Dragon Age: The Veilguard machen können, sind wohl die rund 70 Stunden Spielzeit, die uns am Ende immer noch nach mehr lechzen ließen. Mit allen Achievements erreicht und nach allen geschlagenen Schlachten und einem tollen Ende, hoffen wir auf baldige DLCs und sind sehr gespannt, was uns in Dragon Age 5 nun noch erwarten wird.