Kingdom Come: Deliverance II Test: Magisch ohne Magie
Wir schreiben den 22. Januar im Jahr 2014 anno Domine und eine Gruppe gleichgesinnter, schlauer Leute aus Prag mit einem Faible für die Geschichte und den Mythos rund um das europäische Mittelalter haben gerade eine Kickstarter Kampagne für ein Videospiel namens Kingdom Come: Deliverance gestartet. Ein vielleicht nicht ganz so monumentaler Meilenstein der Geschichte wie die Erfindung von Kettenrüstung oder die Einführung der ersten tragbaren Schussfeuerwaffen, doch in einem vom Fantasy-Genre dominierten Rollenspiel-Markt, hebt sich die Vision von Warhorse Studios durch einen wesentlichen Unterschied ab: Kingdom Come: Deliverance spielt zwar im Mittelalter, doch es ist nicht Fantasy. Ganz recht! Schon in Teil 1 des Spiels tragen wir Rüstung und Schwert, reiten zu Pferd und mischen verschiedenste Kräutertinkturen. Dennoch schleudern wir keine Zauber, bekämpfen keine Orks oder Trolle und füllen mit unseren Tränken keine Mana-Balken auf.
(c) Warhorse Studios
Die Vision der tschechischen Entwickler ist so simpel, dass es ein Wunder ist, dass Kingdom Come: Deliverance im Jahr 2018 das erste große Rollenspiel in einem gänzlich realistischen und historisch akkuraten weltlichen Setting ist. Nach der erfolgreichen Kickstarterkampagne und mit der Unterstützung von Publisher Deep Silver, verwirklichten Warhorse Studios ihre Vision und entführten Fans in ein erfrischend anderes Spiel, das leider von der altbekannten Bug-Plage heimgesucht war. Gerade zu Launch, handelte es sich sogar um einen akuten Fall der Seuche, die Kingdom Come 1 für viele Spieler:innen unspielbar und auch vor allem auf Konsolen und schwächeren PCs zu einem zähen Erlebnis machte. Ein Jammer, weil das Spiel ansonsten mit spannenden Ansätzen und interessanten Quests sowie den historisch korrekt nachgebauten Örtlichkeiten rund um das tschechische Sasau nur so strotzte.
Die große Frage ist also: Kann Kingdom Come: Deliverance II die Fehler des Vorgängers beheben und uns das Erlebnis bieten, das Warhorse Studios schon damals im Sinn hatte? Wir haben über 60 Stunden in den neuen Regionen um Schloss Trosky und Kuttenberg verbracht und berichten euch hier von unseren Erfahrungen aus einer Zeit des historischen Umbruchs.
Kingdom Come: Deliverance II ist ab sofort für PC, PlayStation 5 und Xbox Series X|S verfügbar.
Und? Wie läufts?
Wie schon der Vorgänger, nutzt auch Kingdom Come: Deliverance II die in Deutschland entwickelte CryEngine. Und genauso wie die Game-Engine selbst, hat auch Kingdome Come seit 2018 einige Updates bekommen und wir können mit großer Freude berichten: Das Spiel läuft großartig. In der Tat wirft uns Kingdom Come II mit seinem wunderschön nachgebauten Tschechien, großartiger Lichtstimmung, dichten lauschigen Wäldern, im Wind wogenden Feldern, detaillierten Dörfern und Burgen laufend aus den Schuhen! Regelmäßig bleiben wir stehen und bewundern großartige Aussichten, dichte Vegetation oder stöbern (nicht immer erlaubterweise) in den authentischen Stuben von Adel und Gesinde. Während die Dialoge und die Gestik der NPCs teilweise etwas hölzern wirken, macht auch das neu hinzugekommene Facial Motion Capture einen wesentlichen Unterschied und trägt zu einer glaubhaften Atmosphäre, amüsanteren Situationen und weitaus emotionaleren Szenen bei.
(c) Warhorse Studios
Getestet haben wir Kingdom Come: Deliverance II auf einem, mit einer NVIDIA GeForce RTX 3090 und entsprechend guter weiterer Hardware ausgestatteten, PC in 4K Auflösung und auf High bis Ultra Grafik-Einstellungen. Dabei konnten kaum Verzögerungen der Framerate beobachten und sind auch ansonsten bis auf kleinere grafische Glitches keinen nennenswerten Bugs begegnet. Seit dem für Tester:innen bereits vorzeitig ausgerollten Day-One-Patch sind auch diese weitgehend behoben. Am wichtigsten ist in jedem Fall: Keine Bugs oder Glitches, die ein Weiterkommen im Spiel verhindern würden. Nichts steht euch oder Protagonist Heinrich dabei im Weg, das mittelalterliche Tschechien am Beginn des 15. Jahrhunderts voll auszukosten. Nichts, außer hungrige Wölfe, gnadenlose Banditen und die skrupellosen Ränkespiele des Adels.
(c) Warhorse Studios
Vom Pranger in die Adelsstube
Wie bereits angedeutet, schlüpfen wir auch im zweiten Teil der Kingdom Come Reihe in die Rolle von Heinrich von Skalitz. Zum Ende von Teil 1 – Spoiler für Kingdom Come: Deliverance (2018) an dieser Stelle – enden wir mit Heinrich als Knappe des Herrn Hans Capon von Rattay und auch Heinrich selbst hat sich als außerehelicher Sohn von Ritter Radzig Kobyla herausgestellt. In Kingdom Come II knüpfen wir mehr oder minder nahtlos an den Epilog des ersten Spiels an, und finden Heinrich und Hans Capon bei der Ankunft in der Region um Burg Trosky, wo sie als Botschafter zu Herrn Otto von Bergow fungieren und eine Allianz des tschechischen Adels verhandeln sollen, um König Wenzel zu seinem rechtmäßigen Thron zu verhelfen.
Starten wir also mit einem quasi-adeligen, kampferfahrenen Ritter Heinrich in strahlender Rüstung und auf stolzem Ross? Natürlich nicht. Denn wie in den meisten Rollenspielen, werden auch hier die Karten neu gemischt und wir starten von Null weg mit einem frischen Deck. In Kingdom Come: Deliverance II findet dieser Reset in Form eines Banditenüberfalls, dem Heinrich und Capon gerade so mit ihren Leben entkommen können, statt. Nach diesem körperlich wie geistig traumatischen Ereignis hat Heinrich leider all sein Hab und Gut und außerdem all sein erlerntes Wissen und Fähigkeiten verloren. Was praktisch für den Start eines Videospiels ist, ist denkbar schlecht für Heinrich. Denn seines Besitzes, seiner Fähigkeiten und zudem auch seines Status (immerhin kann er sich nicht ausweisen) beraubt, wird er an der örtlichen Festung mit Scheiße übergossen und abgewiesen und landet nach einer Tavernenschlägerei prompt am Pranger.
(c) Warhorse Studios
Mit diesem Traumstart ist es nun an uns Spieler:innen, Heinrichs Ruf wiederherzustellen, seine diplomatische Mission zu erfüllen und ihn dabei zurück zu alter Ritter-Form zu führen. Dabei verdingen wir uns als ehrenhafter Schmied, als diebischer Müllersgehilfe, feiern Hochzeit mit Landadeligen, schließen Freundschaft mit Nomaden, stellen uns Duellen mit Banditenanführern, werden gefoltert, beschossen und verschüttet – kurzum erleben wir erneut ein wildes Abenteuer, das Heinrich zu einem noch vielseitigeren Helden macht, als wir ihn bereits 2018 lieben gelernt haben. Während die Main-Story nach einem rasanten Anfang eher ausgebremst wird und etwas schleppend beginnt, fühlten wir uns von der Fülle an Sidequests, Tätigkeiten und Erkundungsmöglichkeiten sofort gefesselt und konnten des Öfteren auch spät nachts nicht anders, als „noch eine Quest“ zu machen.
Hat man Heinrichs Status wieder einigermaßen hergestellt, nimmt auch die Hauptstory von Kingdom Come II so richtig Fahrt auf. Wie schon im ersten Teil, begegnen wir auch hier einigen realen historischen Persönlichkeiten und werden in Ereignisse, die im Tschechien des 15. Jahrhunderts tatsächlich stattgefunden haben, verwickelt. Dabei schafft Warhorse Studios es, Heinrichs Rolle weitgehend bedeutungsvoll darzustellen. Allerdings kommt es immer wieder vor, dass die Main Quest das Rampenlicht dem ein oder andren NPC überlassen muss, weil so die historischen Geschehnisse nun Mal verlaufen sind. So gehen wir beispielsweise deutlich overleveled in einen Kampf, bestreiten ein episches Duell gegen den realen tschechischen Nationalhelden Jan Žižka, doch auch unser noch so überlegener Duellsieg ändert nichts am Fortlauf der Geschichte. Ein nachvollziehbarer, aber bedauernswerter Nachteil des historischen Settings von Kingdom Come II.
(c) Warhorse Studios
Realistisch betrachtet
Das historisch akkurate Setting von Kingdom Come: Deliverance II spiegelt sich natürlich nicht nur in der authentisch nachgebauten Spielwelt oder den historischen Persönlichen wider. Auch in den Spielmechaniken unterscheidet sich Kingdom Come von herkömmlichen RPGs in einigen Punkten. Bereits aus Teil 1 bekannt, ist das – im Vergleich zu Spielen wie The Elder Scrolls oder Dragon Age – ausgeklügeltere oder zumindest technischere First-Person Kampfsystem.
Während es hier wie in Rollenspielen üblich Skill-Levels für verschiedene Waffengattungen und auch Spezial-Moves zu erlernen gibt, hängt dennoch viel vom Spielerkönnen und der Ausrüstung ab. Erneut variieren wir hier unter fünf verschiedenen Haltungen, die mit der Richtung des Joysticks gesteuert werden und reagieren mit hoffentlich passendem Timing auf unsere Gegner oder führen Sonderfertigkeiten durch bestimmte Richtungsabfolgen aus. Doch selbst unser sehr erprobter Heinrich zum Ende des Spiels konnte jederzeit problemlos getötet werden, wenn wir unvorsichtig oder ganz einfach schlecht ausgerüstet waren. Mit anderen Worten: Selbst der beste Schwertkämpfer Tschechiens kann durch 1-2 Gegentreffer fallen, wenn er keine gute Rüstung trägt. Heinrich ist und bleibt immerhin ein normalsterblicher Mensch.
(c) Warhorse Studios
Ähnlich verhält es sich mit den meisten Tätigkeiten in Kingdom Come: Deliverance II. Auch wenn wir unsere Redekunst stark erhöht und etliche Perks freigeschalten haben, wird man uns keines Blickes würdigen, wenn wir in abgetragenen Lumpen und womöglich auch noch völlig verdreckt und halb tot versuchen, mit Adeligen zu verhandeln. Und ebenso hilft uns der beste Schleichen-Wert nichts, wenn wir versuchen in einer klappernden Kettenrüstung in eine Festung einzubrechen.
Dieser realistischere Ansatz ist allerdings ein zweischneidiges Schwert (see what we did there?). Denn so erfrischend wir unsere menschliche Fehlbar- und Sterblichkeit im späteren Verlauf des Spiels fanden, so sperrig und frustrierend war sie zu Beginn unseres Abenteuers. Quasi hilflos und aller unserer Ausrüstung und Fähigkeiten beraubt, liefen wir in den ersten Stunden von Kingdom Come: Deliverance II gefühlt überall gegen eine Wand an. Wir hatten keine Chance selbst einen einzelnen Hund zu bezwingen, unsere Schleich- und Diebstahlversuche wurden meilenweit gegen den Wind gerochen und niemand ließ sich mit Worten auf unsere Seite ziehen. Auf diese Weise war jede Sidequest und jeder Schritt auf der Map ein Risiko und es dauerte eine ganze Weile, bis wir ein paar erste Erfolgserlebnisse verzeichnen konnten.
(c) Warhorse Studios
Audentes fortuna iuvat!
„Das Glück ist mit den Wagemutigen“, trifft nicht nur auf Heinrich und Herrn Capons Abenteuer, sondern auch auf das gesamte Unterfangen Kingdom Come: Deliverance zu. Während Teil 1 im Jahr 2018 noch von technischen Problemen ausgebremst wurde, blieb der tschechische Entwickler Warhorse Studios ihrer Vision treu und liefert mit Kingdom Come: Deliverance II voll ab! Auch wenn das Spiel kleinere Schwierigkeiten im Pacing hat und der ein oder andre kleinere Grafik-Glitch (zumindest in unserer frühen Testversion) vorkommen konnte, ist Teil 2 des realistischen Rollenspiels ein großartiges Abenteuer für Fans des mythologischen Mittelalters.
Optisch wirft uns Kingdom Come: Deliverance II geradezu aus den Schuhen und die authentische Welt bietet zahllose Möglichkeiten für lohnende Erkundung, amüsante Tätigkeiten und spannende Sidequests. Während Heinrichs Rolle in der Hauptquest teilweise durch den geforderten Realismus ausgebremst wird, ist die Story in Kingdom Come wie gewohnt episch und stellt uns realen Orten und Personen vor. Auch die realistischeren Spielmechaniken waren zwar anfangs sperrig, stellten im weiteren Spiel aber erfrischend andere Möglichkeiten dar. Zusammengefasst kann man sagen: Wie die Realität im europäischen Mittelalter, kann das Leben in Kingdom Come: Deliverance II hart sein. Doch diejenigen unter euch, die sich der Herausforderung stellen, werden in die Geschichte eintauchen. Wir konnten den Controller kaum weglegen!
Kingdom Come: Deliverance II ist ab sofort für PC, PlayStation 5 und Xbox Series X|S verfügbar.