Reden wir über Life is Strange: Before The Storm – Episode 1: Awake
Ich weiß, ich weiß, ich bin ziemlich spät dran damit, meine Meinung zu Before The Storm – Episode 1: Awake in den Äther zu posaunen, ist doch Episode 2 schon erschienen. Da ich allerdings nicht mit einem Beitrag zu Episode 2 anfangen wollte, werden nun eben zuerst meine Gedanken zu Episode 1 nachgereicht.
Disclaimer
Gleich zu Beginn: Dieser Artikel ist kein Testbericht im eigentlichen Sinn. Ich werde mit einer Wertung zu Before The Storm warten, bis alle Episoden dazu erschienen sind. Stattdessen möchte ich hier einfach meine persönlichen Eindrücke zu Episode 1: Awake loswerden.
Kleine Spoilerwarnung
Keine Angst, ich werde keine großen handlungsrelevanten Überraschungen oder Geheimnisse zu Awake ausplaudern, allerdings einige wichtige Personen, Schauplätze und Geschehnisse erwähnen. Wer also nichts zu Episode 1 wissen möchte, sollte auch nichts dazu lesen.
Außerdem werde ich hin und wieder Vergleiche mit dem ersten Life is Strange anstellen. Wer das noch nicht gespielt hat und nicht gespoilert werden will, sollte sich kurz Asche auf sein Haupt streuen, schleunigst alle Termine für dieses Wochenende aus dem Kalender streichen, sich das Spiel holen und in den nächsten zwei Tagen durchspielen, ehe er oder sie hier weiterliest.
Alles klar? Gut, dann kann’s ja losgehen:
Es menschelt gewaltig
In meinem Interview mit dem leitenden Autor, Zak Garriss, trat es bereits deutlich hervor: Life is Strange: Before The Storm kann natürlich problemlos von SerieneinsteigerInnen gespielt werden, doch nur wer die erste Staffel kennt, wird aus dem Vollen schöpfen. Episode 1: Awake trieft vor Nostalgie und Anspielungen für Fans und schafft es dennoch, die Kurve zu kratzen, hin zu etwas Neuem, Eigenständigem.
Zu Beginn des Spiels finden wir uns in der Haut der 16-jährigen, rebellischen Chloe Price wieder. Sie fühlt sich allein und verloren in der Welt. Der tragische Tod ihres Vaters vor zwei Jahren ist für Chloe noch lange nicht überwunden, da hat sich ihre Mutter bereits einen unsympathischen Freund angelacht. Darüber hinaus ist Chloes beste Freundin, Max, nach Seattle gezogen und seit Wochen herrscht von Max’ Seite aus Funkstille.
Den aus dem ersten Spiel bekannten Charakteren einige Jahre früher wiederzubegegnen, führte für mich persönlich zu den ergreifensten Momenten in der Episode. Besonders genoss ich den tieferen Einblick in Chloes Familienleben, der mit viel Einfühlungsvermögen geschrieben wurde. Und auch die von Fans sehnsüchtig erwartete Begegnung mit Rachel Amber ist gelungen. Die Schnelligkeit mit der sich Blitzfreundschaft der beiden Teenagerinnen entwickelt, zwingt mich zwar dazu, ein Auge zuzukneifen, aber die Chemie der beiden Charaktere stimmt.
Chloe Tryhard
Nicht nur die Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen, auch die Charakterzeichnungen der wichtigen ProtagonistInnen sind durchwegs gelungen. Während die 19-jährige Chloe im ersten Life is Strange äußerst selbstbewusst und abgebrüht erscheint, wirkt diese Punkattitüde drei Jahre zuvor noch ziemlich erzwungen. Ihr ganzes Auftreten vermittelt eindeutig, dass wir hier ein stark verunsichertes Mädchen vor uns haben, das gerne viel gefühlskälter wäre, als es ist. Chloes Gedanken und Empfindungen wirkten auf mich teilweise extrem, doch wenn ich mir in Erinnerung rufe, wie man in dem Alter dazu neigt, aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen, halte ich Chloes Entscheidungen und Handlungen größtenteils für plausibel. Auch wenn ich inzwischen alt und vernünftig genug bin, um eher Mitleid mit Chloes Mutter zu empfinden, als die rebellische Ader ihrer Tochter gutzuheißen.
Manchmal schlägt Before the Storm mit Chloes Rebellentum jedoch eindeutig über die Strenge und sprengt für mich die Grenzen der Glaubwürdigkeit: Wenn Chloe ihren Schuldirektor übel beleidigt und der darauf nur verhalten reagiert oder Chloe durch ihr vorlautes Mundwerk an einem Türsteher vorbeikommt, wirkt das unrealistisch. Dazu kommen ein paar klischeehafte Szenen (Stichwort: das Pärchen mit der Weinflasche), die in der ansonsten runden, wenn sich auch etwas langsam entwickelnden Erzählung fehl am Platz wirken und zum Fremdschämen einladen.
Kleines Drama ganz groß
Wie auch beim ersten Spiel, soll sich im Laufe des Spiels eine übergeordnete Handung entfalten, die in der ersten Episode nur losgetreten wird. Doch ich komme und bleibe hauptsächlich für die kleinen Dramen: Wenn Chloe unbedingt diese eine Band sehen muss, weil sonst ihr Leben vorbei ist und sie sich heimlich in einen Undergroundschuppen schleicht. Oder sie dem neuen Lover ihrer Mutter in Gedanken alle schrecklichen Dinge auf den Hals wünscht, weil sie sich davon bedroht fühlt, dass er ihren verstorbenen Vater im Haushalt ersetzen könnte. – In solchen Momenten wirkt Episode 1: Awake am ehrlichsten und nahbarsten.
In diesem Punkt sehe ich Before The Storm ebenfalls in erster Linie als ein Spiel für Fans: Allein durch das Wiedersehen mit bekannten Charakteren und Schauplätzen fühlte ich mich bereits genügend involviert, um mir Episode 2 nicht entgehen lassen zu wollen; selbst wenn von einem übergeordneten Spannungsbogen noch nicht viel zu sehen ist. Das war jedoch nach Episode 1 des ersten Life is Strange genauso.
Spielerisch alles beim Alten
So, genug über Charakterentwicklung geredet. – Zu guter Letzt möchte ich noch ein paar Worte über das Gameplay verlieren, das sich nur marginal gegenüber des ersten Teils verändert hat.
Ähnlich wie Telltale-Titel spielt sich Before The Storm als eine Art interaktiver Film. Ein Großteil des Spiels besteht aus Szenen, die von selbst ablaufen und in denen man immer wieder Chloes Reaktionen mittels Multiple Choice steuern kann. Die getoffenen Entscheidungen können dabei mehr oder weniger weitreichende Auswirkungen haben. In wie weit sich der Verlauf der Geschichte beeinflussen lässt, wird sich erst in den kommenden Episoden zeigen. An einigen stark abgegrenzten Schauplätzen kann man sich auch frei bewegen, Gegenstände betrachten und mit Dingen sowie Leuten interagieren.
Durch Max’ Abwesenheit musste ihre Superkraft in Before The Storm weichen, dafür erhält Chloe ihre eigene Spielmechanik namens “Backtalk”: In bestimmten Situationen kann sich Chloe ein Wortgefecht mit jemand anderem liefern. Wer gut Acht gibt, was das Gegenüber sagt und die richtige Entgegnung darauf findet, kann den Gesprächspartner einschüchtern, sodass Chloe ihren Willen durchsetzt. Ich finde, dass das Konzept dieser Mechanik gut zur aufmüpfigen, aufbrausenden Chloe passt. Allerdings wirken die resultierenden Dialoge wie auch die Situationen, in denen die Mechanik zum Einsatz kommt, aufgesetzt und unnatürlich. Die meisten Gesprächspartner ließen sich meiner Meinung nach nie so einfach durch eine vorlaute Pupertäre einschüchtern.
Mehr seltsames Leben
Nach diesen (langen) Ausführungen lautet mein Fazit wenig überraschend: Wer Life is Strange toll fand, wird bei Before The Storm – Episode 1: Awake mit offenen Armen, jeder Menge Teenagedrama und einem melancholischem Indie-Soundtrack empfangen. Fans wird es auch nicht schwer fallen, über ein paar unglaubwürdige Szenen und die etwas verkrampfte Backtalkmechanik hinwegzusehen.
Neulinge hingegen, die sich mehr als größtenteils banale Probleme pupertierender Mädchen erhoffen und nicht von nostalgischen Erinnerungen an die erste Staffel zehren, bleiben wahrscheinlich mit einem unentschlossenen “Meh” zurück.
Ich persönlich bin als Fan gespannt, wohin die Reise geht und werde mir auf alle Fälle Episode 2: Brave New World ansehen.