Sea of Thieves im Test – Klar zum (K)entern!
Microsoft Studios hat zwei meiner schönsten Kindheitserinnerungen in einen Kochtopf geworfen, und ein paarmal fest umgerührt: Nein, nicht die Ninja Turtles und Michael Bay-Filme, sondern Piratenabenteuer und Videospiele von Rare. Kapitän Rotbarts unerschrockene Crew von Lego PiratInnen haben es mir in den 90er Jahren ebenso angetan, wie die unbeschreibliche Pixelpracht von Spielen wie Donkey Kong Country und Killer Instinct. Lange Zeit war es ruhig geworden um die Grafik-Pioniere. Nun liefert Rare nach jahrelanger Abstinenz mal wieder einen echten Triple-A Titel ab. Sea of Thieves heißt das Werk, welches unter der Flagge der neuen BrötchengeberIn Microsoft für Xbox One und PC erschienen ist. Ich habe die Segel gehisst, um das Massive Multiplayer PiratInnenabenteuer auf Seetauglichkeit zu prüfen. Ob Sea of Thieves den Kurs hält, oder doch ein Fall für die Backskiste ist, lest ihr in meinem Review!
Mein Testgerät von Techbold:
- ASUS STRIX-GTX1080-A8G-GAMING, 8GB GDDR5X
- INTEL Core i5 7600K, LGA1151, 4x 3.80GHz
- KINGSTON HyperX Fury black, 16GB Kit (2x8GB), 2400MHz, DDR4 2
- SAMSUNG 950 PRO Solid-State-Disk, 512GB, intern, M.2
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Handlung
Bei Sea of Thieves handelt es sich den MacherInnen zufolge um ein Shared World Abenteuer. Ihr steuert wahlweise einen Piraten oder eine Piratin aus der Egoperspektive, und erlebt dabei mehr oder weniger stereotypische Piratenabenteuer. An Bord eines Schiffes begebt ihr euch im Auftrag verschiedener NPC-Parteien auf Schatzsuche, treibt Handel oder heizt gegnerischen Schiffscrews auf hoher See mit schwerem Geschütz ordentlich ein. Dabei verfolgt Sea of Thieves keinen linearen Handlungsstrang, keine Hauptmission und kein höheres Ziel. Ihr sollt euch einfach in die Rolle einer PiratIn versetzen und dabei möglichst ungezwungen, unorchestriert und gemeinsam Spaß haben.
Steuerung
Doch bevor euer Abenteuer beginnt, gilt es erst einmal sich mit der Steuerung des Spiels vertraut zu machen. Ihr steuert eure Spielfigur aus der Egoperspektive mit Maus und Tastatur oder wahlweise mit den Analogsticks eines Controllers. Die Fähigkeiten Springen, Sprinten und Schwimmen runden euer Bewegungsrepertoire ab. Eure Figur kann darüber hinaus verschiedene Gegenstände wie Waffen, einen Kompass, eine Schaufel oder ein Fernrohr zur Hand nehmen, und diese ihrem Zweck gemäß verwenden. Das Interface kann mit Ringmenüs und umständlichen Tasten zum Blättern durch Listeneinträge seinen Konsolenursprung nur schwer leugnen. Anders als in ähnlichen Spielen wechselt beim Bedienen eines Schiffes weder das Steuerkonzept, noch das puristische Interface.
Euer Schiff
Während Spiele wie Assassins Creed Black Flag das Schiff quasi zur zweiten Hauptfigur hochstilisieren, sind Schiffe in Sea of Thieves nur Mittel zum Zweck, um von einer Insel zur nächsten zu gelangen. Vor jeder neuen Partie entscheidet ihr euch für einen zur Stimmung passenden schwimmbaren Untersatz. Ihr habt die Wahl zwischen einer kleinen, wendigen Schaluppe und einer großen Galeone, die idealerweise zu fünft gesegelt werden sollte. Wollt ihr für ein paar ruhige Minuten allein im See stechen, ist die überschaubare Schaluppe die geeignete Wahl. Wollt ihr euch mit anderen SpielerInnen oder Freunden zu einer schlagkräftigen aber koordinationsbedürftigen Gruppe organisieren, fällt eure Wahl vorzugsweise auf die mächtige Galeone. Andere Schiffe stehen nicht zur Auswahl, ihr könnt sie aber mit steigendem Spielfortschritt um kosmetische Upgrades wie Gallionsfiguren, Rumpfbemalungen und Segel erweitern.
Gameplay
Insgesamt 58 Inseln unterschiedlicher Formen und Größen warten darauf, von eifrigen FreibeuterInnen entdeckt und erkundet zu werden. Die komplette Seekarte ist dabei von Anfang an in der Kajüte eures Schiffs einsehbar, und beherbergt lauschige Südsee-Eilande mit klingenden Namen wie Smugglers Bay und Plunder Valley. Die frei begeh- und befahrbare Welt ist quadratisch, teilt sich in 676 Sektoren und ist Schätzungen zufolge etwa 20 Quadratkilometer groß. Im Vergleich zur abwechslungsreichen Welt von GTA V (77km²) wirkt die See der Diebe eher wie ein Babyplanschbecken.
Freund und Feind
Auf den verschiedenen Inseln treiben sich neben genretypischen SkelettgegnerInnen auch NPCs dreier Fraktionen herum, deren Gunst ihr euch durch das Erledigen von Missionen erarbeiten könnt. Dabei müsst ihr euch entscheiden, ob ihr zuerst den Goldsammlern, dem Seelenorden oder dem Handelsbund die Treue schwören wollt. Erst wenn ihr bei einer der drei Fraktionen im Ruf aufgestiegen seid, könnt ihr euch den beiden verbleibenden widmen, und so vielleicht irgendwann den Ruf einer Piratenlegende erwirtschaften.
Quest-Tretmühle
Dafür ist allerdings quälendes Dauergegrinde vom Typ „Töte GegnerIn X“, „Bringe Schatz Y“ oder „Löse Rätsel Z“ zu bewältigen. Dadurch, dass es kein wirkliches Levelsystem zu meistern, oder besseres Gear zu looten gibt, ist das auf Dauer leider furchtbar eintönig und frustrierend. Für erbeutete und verdiente Ingame-Währung könnt ihr bei Händlern kosmetische Items wie Bärte, Holzbeine und PiratInnenkostume erwerben, irgendwann soll es auch die Möglichkeit geben für Echtgeld im Ingame-Shop einkaufen zu gehen.
Gegenstände
Ebenso wie die Vielfalt der verfügbaren Quests ist auch das Inventar eurer MatrosIn auf ein vordefiniertes Set an Gegenständen beschränkt. Neben einem klassischen Piratenkrummsäbel und einer Pistole führt ihr diverse Gebrauchsgegenstände von Anfang an mit euch. Ein Eimer, um Wasser aus sinkenden Schiffen zu schöpfen, eine Schaufel zum Buddeln nach Schätzen und ein Kompass zur Orientierung sind ebenso im Gepäck, wie ein Fernrohr und eine Laterne. Bevor Langeweile aufkommt greifen musikalische SeebärInnen zur Schrammel oder Ziehharmonika, um ein lustiges PiratInnenliedchen anzustimmen. Schwindender Lebensenergie begegnet man in Sea of Thieves mit dem Allerheilmittel Bananen, während mitgeführte Bretter zum Stopfen von Löchern im Schiffsrumpf genutzt werden können. Munition für Pistolen und Kanonenkugeln können nur in begrenzten Mengen getragen werden, was euch vor permanente Nachschubprobleme stellt.
Multiplayer
Der Reiz an Sea of Thieves besteht darin, dass sich viele Gleichgesinnte die Arbeit teilen, und gemeinsam in See stechen. Zu diesem Zwecke bietet das Spiel zum Beginn die Möglichkeit, euer Schiff mit einer Chrew menschlicher MitspielerInnen zu bemannen. Ihr könnt entweder eure FreundInnen im Xbox Netzwerk einladen, oder das Matchmaking-System walten lassen. Wer sich im Sprachchat über die Rollenverteilung an Deck und die gemeinsamen Ziele abspricht, hat einen deutlichen Vorteil gegenüber ungestümen Freigeistern. In koordinierten 5er-Grüppchen kommt tatsächlich hie und da so etwas wie Piratenlaune auf, auch wenn die sich in den seltensten Fällen um den eigentlichen Spielfortschritt dreht.
Crossplay
Auf hoher See begegnet ihr hin und wieder den Schiffen andere SpielerInnen. Dank Crossplay stechen sowohl Xbox One-BesitzerInnen als auch Windows 10-User in dieselben Gewässer, und können sich darin gegenseitig bekriegen. Ein dynamisches Servermigrationssystem sorgt dafür, dass es zu regelmäßigen, aber nicht zu häufige Begegnungen mit anderen SpielerInnen kommt. Auf diese Weise soll gewährleistet sein, dass EinsteigerInnen nicht frustriert, und Profis nicht gelangweilt sind.
Technik
Kommen wir zur eigentlichen Paradedisziplin von Sea of Thieves: Der Präsentation. Dabei setzt Rare auf die bewährte Unreal Engine, und taucht die karibische Tropenwelt in einen bunten Cellshading Comicstil. Dynamische Wettereffekte sorgen für Abwechslung auf der stürmischen See. Eine äußerst beeindruckende Wellensimulation lässt Wassermassen überzeugend gegen die Planken unseres Schiffes branden, und die spritzende Gischt der Wellenberge in prachtvollen Schaumkronen gipfeln. Am Himmel darüber brauen sich volumetrische Wolkenberge rasch von einem harmlosen Saum zu dunklen Gewitterbänken zusammen. Dahinter gleiten Sonne, Mond und Sterne im flinken Tag-Nach-Zyklus über den Himmel. Selten gab es in einem Spiel mit Comicgrafik derartige Opulenz zu bestaunen! Glaubhafte Soundeffekte tragen das ihre dazu bei, dass sich ein Segeltörn durch die virtuellen Gewässer berauschend real anfühlt. Von oben ächzten die Balken der Takelage im Wind, während der Schiffsrumpf unter der Last der Wassermassen dumpf knarzt. Das behäbige aufbäumen der schweren Stoffsegel und das hektische Flattern der Mastfahne wird dominanter, wenn man den Ausguck erklimmt. Wäre doch nur so viel Leidenschaft ins eigentliche Gameplay geflossen, wie in diesen perfekten Aspekt des Spiels!
Dass den EntwicklerInnen zum Schluss die Zeit knapp geworden sein dürfte, macht sich auch in der Englischen Sprachausgabe bemerkbar, die immerhin durch deutsche Texte untertitelt wird. Und dann währen da leider noch die zahlreichen Bugs zu bemängeln: Teilweise bleibt man beim Erkunden einer Insel schlichtweg Im Gelände stecken, oder das eigene Schiff schwebt plötzlich unvermittelt davon, als wäre es von Nimmerland-PiratInnen gekapert worden.
Fazit zu Sea of Thieves
Sea of Thieves ist ein waghalsiges Experiment, das leider viel zu früh auf potenzielle Fans losgelassen wurde. Es steckt einfach viel zu wenig Leben und Abwechslung in dieser Welt, die an sich tolle Abenteuer, wilden Spaß und grenzenlose Freiheit verhieße. Aber zu welchem Preis? Kein Handlungsfaden oder persönlicher Fortschritt, keine wirklich motivierende Beute und keine Charakterentwicklung. Da helfen auch die tadelloseste grafische Präsentation und die stabilste Serverinfrastruktur nichts. Spätestens nach wenigen Missionen und unzähligen zu Staub zerhackten Skeletten hat man alles gesehen, und keinen Anreiz mehr weiterzuspielen.
Ich hoffe, Microsoft und Rare haben sich eine ambitionierte Content-Patch-Strategie für Sea of Thieves zurechtgelegt, denn sonst werden sie schon rasch mit verwaisten Servern und stillgelegten Accounts zu kämpfen haben. Auch wenn ich diesem Spiel-gewordenen Kindheitstraum eine echte Chance gewünscht hätte, derzeit sehe derzeit noch keinen Silberstreif am Horizon der Diebes-See.