Mari liest: Der Marsianer
Robinson Crusoe im Weltall
Die Geschichte von Der Marsianer wurde in ihren Grundzügen bereits vor dreihundert Jahren schon mal erzählt: Ein durch ein Schiffsunglück in der Wildnis gestrandeter Mann muss dort alleine den Widrigkeiten der Natur trotzen, bis er wieder in die Zivilisation zurückkehren kann. Damals, im Jahr 1719, hieß der Autor Daniel Defoe und der Roman Robinson Crusoe. Heute heißt der Autor Andy Weir, anstelle eines Seemanns folgen wir den Abenteuern eines Astronauten und aus der karibischen Insel wurde der Planet Mars. Dabei weiß unerwarteter Weise gerade der „recycelte“ Part des Romans zu überzeugen, zum großen Teil aufgrund seiner Einbettung in technische Science-Fiction der besten Sorte: akribisch recherchiert und überzeugend geschildert.
Der Marsianer erzählt vom Astronauten Mark Watney, der sich nach einer missglückten Mission alleine und von allen totgeglaubt am Mars gestrandet wiederfindet. Vier Jahre lang muss er bis zur Ankunft der nächsten Mission mit Equipment, das lediglich für einen kurzen Forschungsaufenthalt ausgelegt war, überleben. Wie es Watney bei seinem Überlebenskampf ergeht, erfahren wir hauptsächlich durch Einträge in seinem Logbuch. Wir folgen ihm bei unerwarteten Problemen und seinen cleveren Plänen aber auch bei monotonen Tätigkeiten. Die prägnante Schreibweise dieser Tagebucheinträge passt dabei zu den pauschalen Erwartungen, die man an die Ausdrucksweise von Ingenieuren stellt. Mit etwas Affinität für Tech-Sprech (die ich durchaus besitze), kann man hier schön in das glaubhafte Zukunftsszenario eintauchen.
Blumig wie ein Protokoll
Seine Schwächen offenbart der Roman, als er nach einigen Kapiteln erstmals das Korsett des Logbuchs verlässt und neue Protagonisten – NASA-MitarbeiterInnen auf der Erde – einführt. Diese in der dritten Person erzählten Abschnitte sind ebenso knapp und nüchtern gehalten, wie die Logbucheinträge, was zur Folge hat, dass ich bis zum Ende des Buches etliche Figuren nicht auseinanderhalten konnte. Die ebenfalls später auftauchenden Crewmitglieder Watneys werden ein wenig besser ausgeformt, allerdings viel zu spät, erst im letzten Viertel des Romans. Dass beinahe sämtliche Figuren so blass bleiben, ist schade, da Weirs schnippische und lebensnahe Dialoge erahnen lassen, dass man deutlich mehr aus diesen Charakteren herausholen hätte können. Ich beschwere mich wirklich selten, dass ein Buch zu kurz ist, diesem Werk hätten jedoch eine detailliertere Personenbeschreibung sowie umfangreichere Ausschmückung der Kulissen gutgetan.
Weiters fallen die Beschreibungen auch durch Einfallslosigkeit negativ auf. So wurde zum Beispiel wirklich jedes Mal, wenn es um eine laute Geräuschkulisse ging, das Wort „Kakophonie“ verwendet. Das ist ein schönes Wort, keine Frage, aber ein bisschen Abwechslung im Vokabular wäre noch schöner gewesen.
Zu perfekt um wahr zu sein
Vielleicht wollte Weir durch die karge Rahmengestaltung auch bewusst so wenig wie möglich von Mark Watney als Star von Der Marsianer ablenken. Jedenfalls ist der schiffsbrüchige Astronaut, der einzige Charakter, der bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Und dieser war durch den unreflektierten Umgang mit der Figur leider nicht der sympathischste. Mark Watney ist ein Romanheld, der zu gut ist, um wahr zu sein: Von sämtlichen Nebencharakteren im Buch wird er in den höchsten Tönen gelobt. Ohne Frage ist er ein sehr cleverer und bewundernswert optimistischer Typ, der in den schwierigsten Situationen einen kühlen Kopf bewahrt und niemals aufgibt. Andererseits ließ ihn sein pubertärer Humor (à la: „Hihi, schau mal, Brüste“) in den unpassendsten Momenten doch ziemlich unreif erscheinen. Umso unverständlicher war mir, dass gerade Watneys Humor von einer anderen Romanfigur als besonders positiv hervorgehoben wird.
Darüber hinaus bekommen wir abgesehen von ein paar Kraftausdrücken in brenzligen Situationen auch reichlich wenig Emotionen von Watney zu Gesicht. Im Logbuch gibt es keinerlei sentimentale Ausschweifungen über geliebte Menschen, schöne Erinnerungen, Ängste, Hoffnungen oder wie es ihm mit seiner Einsamkeit ergeht. Es wird so wenig über all das gesprochen, was Menschen zutiefst menschlich macht! Eventuell könnte man argumentieren, dass das Logbuch ja im Falle seiner Rettung öffentlich gemacht werden könnte und Watney deshalb nicht dort sein Innerstes auskehren möchte. Aber würde man wirklich darauf Rücksicht nehmen, wenn man jahrelang mutterseelenallein auf einem fremden Planeten gestrandet ist?!
Ich denke, ich hätte den Hauptcharakter besser leiden können, wenn der Roman mehr Schwächen von ihm gezeigt und diese auch im Text als solche anerkannt hätte. So blieb er für mich bis zum Schluss ein absolut bewundernswerter und genialer Ingenieur, den ich nie im wahren Leben treffen wollte.
Fazit: Einsam am besten
Der Marsianer funktioniert am besten, wenn man als LeserIn mit dem Hauptcharakter alleine in der roten Wüste gelassen wird und ebenso unwissend wie der Protagonist mit diesem mitfiebert und -leidet. Die Wendungen der Erzählung sind gut durchdacht, alle Geschehnisse klingen plausibel. Man merkt, dass Weir seine Wissenschaftshausaufgaben gemacht hat und es versteht, diese stimmig in die bis zum Schluss spannende Handlung einzubetten. Das Vorhaben, eine Geschichte, die sich über Jahre erstreckt, in unter 400 Seiten abzudecken und dabei zu beschreiben, was auf dem Mars, der Erde und im Raumschiff der Crew vor sich geht, führt jedoch zu einem stark verkürzten Einblick, unter dem vor allem die Charakterisierung der Figuren deutlich zu leiden hat.
Ich für meinen Teil bereue meine Zeit mit Der Marsianer nicht, aber freue mich als nächstes auf ausschweifenderen Lesestoff. Und denke darüber nach, wo die nächste Inkarnation Robinson Crusoes wohl in dreihundert Jahren stranden wird.