Arr, Matey: Assassin’s Creed IV: Black Flag im Test
Entspann dich, haben sie gesagt. Flieg in die Karibik, haben sie gesagt. Schlürf Drinks am Strand, haben sie gesagt. Warum ihr auf diese Tipps pfeifen und in Assassin’s Creed IV: Black Flag lieber die Segel hissen, die Entermesser wetzen und Spaniern und Briten Breitseiten verpassen solltet, lest ihr in folgendem Test.
Wie die Jungfrau zum Kinde
So ungefähr kommt auch Hauptprotagonist Edward Kenway zur Assassinentracht, und das, obwohl er nur hinter Reichtümern und Wohlstand her war. Denn nach einer verheerenden Seeschlacht zwischen dem jungen Piraten und einem Handelsschiff ist Edward einer von zwei Überlebenden dieser Pulverdampforgie. Der Zweite im Bunde – ein mysteriöser Mann in seltsamer Kutte – heißt Duncan Walpole. Der sieht zu Edwards Freude wichtig und reich aus. Genau sein Typ also. Kaum am Strand angespült, hetzt der Pirat dem scheinbaren VIP nach und tötet ihn. Unglücklicherweise verschätzt sich Edward, und so trägt Mister Walpole kein Gold in den Taschen. Allerdings findet Edward einen seltsamen Glaswürfel und eine Nachricht. Die weist darauf hin, dass der kürzlich verschiedene Mister Walpole zu einem wichtigen Treffen nach Havanna zu Gouverneur Torres unterwegs war. Letzterer wird ihn nur anhand seiner besonderen Kutte identifizieren können, wie es in dem Schreiben heißt.
Passt, sitzt, wackelt und hat Luft
Kurzerhand übernimmt der junge Pirat also Walpoles Kutte und somit auch dessen Identität. Er macht sich auf den Weg nach Havanna. Die im Brief erwähnte Belohnung beim Gouverneur will er schließlich einfordern, um aus der anfänglichen Pleite doch noch Profit zu schlagen. In der kubanischen Hauptstadt angekommen, begibt sich Edward zu Torres Anwesen. Rein, Lohn kassieren, raus und mit Rum dem Piratenalltag frönen – so in etwa dürfte sich Edward das Ganze vorgestellt haben. Doch so kommt es nicht. Vielmehr bekommt er einige Dinge zu hören, die ihn zunächst etwas ratlos zurücklassen. Die dubiose Gesellschaft, in die er da gerät, spricht von einem Assassinenorden, einem Weisen und einem ominösen Observatorium. Auch wenn Edward kaum etwas von all dem versteht, wittert er große Schätze und Gold. So lässt er sich auf den Templer-Geheimbund ein und schlittert dadurch geradewegs in ein Abenteuer, in dessen Verlauf er es – serientypisch – mit bekannten historischen Figuren der Epoche wie beispielsweise Ed „Blackbeard“ Thatch zu tun bekommt.
Suck it, Neckermann Reisen
Nach diesen ersten Tutorialmissionen und einem längeren Zwischenspiel im Zigarrenraucherparadies offenbart sich euch ein riesengroßer Tropenspielplatz, den ihr mit eurem eigenen, voll aufrüst- und personalisierbarem Schiff, der Jackdaw, frei bereisen könnt. Nebst Havanna bereist ihr im späteren Spielverlauf diverse andere karibische Siedlungen. Dazu zählen die Piratenhochburg Nassau oder das jamaikanische Kingston. Bei den meisten der über 70 Orte handelt es sich aber um sehr kleine Fischerdörfer, in denen ihr meist nur kurz vor Anker gehen werdet, um die Munitionsreserven der Jackdaw wieder aufzufüllen oder das ein oder andere kleine Auftragsattentat auszuführen. Ähnlich prägnante und spektakuläre Städte, die mit weltberühmten Sehenswürdigkeiten gespickt sind wie seinerzeit Florenz, Rom oder Konstantinopel, sucht man in Assassin’s Creed IV: Black Flag vergeblich.
Die schönsten Nebensachen der (Spiel-)Welt
Dafür entschädigt euch aber eine ganz andere Geliebte, die noch dazu immer feucht und zu allen Schandtaten bereit ist. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Die Rede ist natürlich von der Karibischen See. Diese ist frei besegelbar, und ein fließender Wechsel zwischen dem Steuerrad und einem Landgang ist jederzeit möglich. Das tut dem Spieltempo und der Immersion extrem gut, bedenkt man, dass die Marinemissionen im Vorgänger abgeschlossene Teilbereiche der Spielwelt waren. Das weite Meer bietet euch nicht nur etwas fürs Auge (dazu später mehr), sondern auch unheimlich viel Beschäftigung. Natürlich könnt ihr die obligatorischen Seegefechte mit der Royal Navy oder den königlich-spanischen Handelsflotten ausfechten. Nach ein paar Kanonensalven wartet das gegnerische Schiff manövrierunfähig nur darauf, von euch in Besitz genommen zu werden. Habt ihr in den effektvoll inszenierten Entermanövern dann die gegnerische Crew dezimiert und das Pulverlager gesprengt oder den Kapitän in den vorzeitigen Ruhestand geschickt, gehört die Schaluppe euch. Diese könnt ihr dann entweder abwracken, um die Jackdaw zu reparieren, und die restliche Crew freilassen, damit euch die Piratenjäger nicht immer im Genick kleben – oder sie in eure eigene Flotte aufnehmen.
Diese Flotte könnt ihr dann in der Kapitänskajüte – wahlweise auch auf dem Smartphone mit der kostenlosen Campanion-App – managen sowie auf rundenbasierte Seeschlachten oder Handlungsreisen schicken. Das spült dann wiederum einige Reales (Anm.: die Währung im Spiel) in eure Kassa, und ganz selten finden eure Schiffe bei ihren Unternehmungen auch Pläne, mit denen ihr die Jackdaw weiter aufrüsten könnt. Ihr könnt euch aber auch aktiv auf die Suche nach verbuddelten Schätzen machen. Schatzkarten, die ihr bei euren Seeexpeditionen findet, weisen den Weg zu prall gefüllten Piratenkisten. Habt ihr genug rumgebuddelt, wird es Zeit für eine Abkühlung.
Per Tauchglocke gelangt ihr in die Untiefen des Meeres, und ihr durchforstet dort Wracks und Cenotes nach noch mehr Klunkern und Gold. Im Gegensatz zu den fließenden Übergängen zwischen Eilanderkundung und Segeltörn sind diese Unterwasserareale aber abgeschlossene Bereiche. Nicht die ganzen Westindies können durchtaucht werden. Und weil PETA auch etwas zum Aufregen braucht, kommt Black Flag sogar der Befriedigung eurer feuchten Harpunierträume nach. Das Beiboot wird herabgelassen, und fortan jagt ihr diverse Haiarten und erlegt sogar weiße Wale – Kapitän Ahab wäre stolz. Die vorher erwähnten TierschützerInnen fanden das gar nicht lustig, und so hagelte es Beschwerden beim Publisher Ubisoft.
Warum in die Ferne schweifen …
… wenn die virtuelle Karibik direkt im Laufwerk schlummert? Und dann ist die auch noch so schön, dass man Pipi in den Augen hat: die Gischt, die unbarmherzig gegen euren Schiffsbug peitscht und über die Deckplanken spült. Die dichte Pulverdampfwolke, die man in den actiongeladenen Schiffskämpfen nahezu riechen kann. Und dann dieses dynamische Wettersystem: Das Spektrum reicht von strahlendem Sonnenschein bis hin zu wütenden Tropenstürmen samt Wasserhosen und monsunartigen Regenfällen. Der Wellengang ist so realistisch, dass man sich vor Seekrankheit fast übergeben möchte. Unzählige dargestellte Partikel, traumhafte Beleuchtung, geschmeidige Bewegungen, detaillierte Gesichter und emotionsgeladene Mimik bei den allesamt cool designten Charakteren – und und und. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die von mir getestete PS4-Fassung erfüllt meine Vorstellungen von Next-Gen voll und ganz. Natürlich geht immer noch ein Stückchen mehr, aber angesichts der riesigen offenen Welt, die die Engine da berechnen muss, kann man nur Staunen. Gröbere grafische Fehler oder Bugs gibt es – außer dem ein oder anderen Mini-Glitch, der aber ab und an auch zu unterhalten weiß – kaum.
Die Soundkulisse ist wundervoll stimmig und unterstreicht das karibische Flair mit seinen satt klingenden Donnerbüchsen und dem Gekreische und Gezirpe der Tropenfauna. Besondere Atmosphäre verbreiten auch die Seemanns-Shanties. Jedes Mal, wenn ihr auf hoher See unterwegs seid, fangen eure Mannen an, schmissige Songs à la „What shall we do with the drunken sailor?“ zu schmettern. Wem das nicht passt, der beendet das Gesinge per Knopfdruck. Ich fands aber ehrlich gesagt cool. Der Soundtrack aus der Feder von Brian Tyler ist auch eine wahre Freude. Wer die „Fluch der Karibik“-Filme mag, findet teils große Parallelen, was die Piratenstimmung auf das Maximum anhebt. Die deutschen SprecherInnen leisten gute Arbeit, allerdings ist es wie immer: Die englische Sprachausgabe wirkt aufgrund des Piratenklischee-Englisch einfach runder, natürlicher und atmosphärischer.
Zusammenfassung
Die aktuelle Auflage von Ubisofts Meuchelmördersaga reißt mich zu wahren Begeisterungsstürmen in Sachen Gameplay, Grafik und Musikgestaltung hin. Und dabei gibt es noch so viele Features, die im Laufe des Tests nicht näher erwähnt wurden: die Gegenwartsabschnitte als Videogame-TesterIn bei Abstergo, die Jagden auf die legendären Schiffe, das Crafting, die vielen freischaltbaren Rüstungen etc. Assassin’s Creed IV: Black Flag ist ein wahrer Umfangskraken, und muss aufgrund der vielen unterschiedlichen Nebenquests und -beschäftigungen den Vergleich mit Rockstars Gangsterepos nicht scheuen. Es gibt aber auch einige Dinge, die auf meiner Seite für ein paar hochgezogene Augenbrauen sorgten. Zum einen der Mehrspieler, der erneut unter die Kategorie „nice to have“ fällt, aber weit davon entfernt ist, mich zu begeistern. Zum anderen die Geschichte um den Piraten und „Assassin by Accident“ Edward Kenway; sie kommt nie wirklich in Schwung. Sie lässt die Epik der Ezio-Triologie schmerzlich vermissen, sogar der dritte Teil bot mit seiner Vater-Sohn-Rache-Story mehr Gehalt als Black Flags Seemannsgarn. Schade darum. Spielerisch ist dieser Titel allerdings über jeden Zweifel erhaben. Es scheint, als würde die Serie mit jedem Teil ein weiteres Stückchen verfeinert.
Assassin’s Creed IV: Black Flag ist ein wahres Meuchelmörder-GTA im goldenen Piratenzeitalter geworden. Der Teil legt erneut ein Schippchen drauf und sorgt spielerisch für das bisher beste Assassin’s Creed – leider auf Kosten der Story.
[…] so erfahren möchte – wer sich außerdem einen Gusto aufs Spiel holen möchte, dem sei mein Review zu Assassin’s Creed IV: Black Flag ans Herz […]