Age of Empires IV im Test – Es war einmal ein Experiment

von postbrawler 25.10.2021

Es war einmal ein Nischengenre, das nicht mehr so recht an seine Erfolge der 90er und 2000er Jahre anzuknüpfen vermochte. Es hieß Echtzeitstrategie, und erlangte Ruhm und Bekanntheit durch Vertreter wie Warcraft, Starcraft und Age of Empires. Doch der jungen SpielerInnenschaft gelüstete es nach Action, einfachen Konzepten und kurzweiliger Unterhaltung. Daher fristete das Genre einen verwunschenen Schlaf im dornenumrankten Turm der Vergessenheit. Bis eines Tages ein stolzer Ritter auszog, um es wachzuküssen. Der Ritter hieß Microsoft. Auf seinem treuen Schlachtross Relic Entertainment zog er los, bezwang den feuerspeienden Battle Royal-Drachen und schlug sich seinen Weg durch die MOBA-Ranken. Da stand er nun, vor der schlummernden Echtzeitstrategie und spitzte die Lippen zum Kuss der immerwährenden Liebe.

Des Königs neue Kleider

Age of Empires IV

Das Genre gebar dem Ritter einen Spross reinen Blutes, einen Nachkommen, der würdig die Banner der Familie gen Himmel emporstrecken sollte: Age of Empires IV! Wie der Name schon vermuten ließ, nicht der erste Spross des Genres. Ein Nachzügler, wenn man so will. Seine älteren Geschwister hatten sich erst vor kurzem mit neuen Pixel-Kleidern und Definitive Editions herausgeputzt, um die Ankunft ihres jüngsten Geschwisterchens zu zelebrieren. Das Kind solle in einer Welt aufwachsen, in der Echtzeitstrategie etwas ganz Normales, ja Alltägliches war.

Das Schicksal des Nachzüglers

Age of Empires IV lernte schnell was es tun musste, um der Fanbase zu gefallen. Moderne Optik in 4K und HDR sollte es haben. Aber die Tugenden der Familie, Basen-Bau, Zeitalter und Forschung wollte es ehren. Und doch bemerkte es schnell, dass etwas nicht so war, wie es schien. Auch wenn der Ritter edlen Blutes sein letztes Hemd gab, um seinen Kindern ein Leben in Glanz und Glorie alter Königstage zu bieten, bröckelte die Fassade. Der Blick auf die alte Burgruine dahinter ließ das Kind zweifeln.

Guter Rat ist teuer

„Was, wenn die SpielerInnen sich von meiner Herrschaft abwenden, um sich wieder diesen kurzweiligen Hero-Shootern zu widmen?“. Angestrengt dachte es nach, was es noch an sich verbessern könne. Sein Spielkamerad StarCraft II flüsterte ihm zu: „Versuch es doch mal mit völlig unterschiedlichen spielbaren Völkern!“. Age of Empires IV haderte mit sich. Solle es seine heilige Dreifaltigkeit aus Infanterie, Kavallerie und Bogenschützen gegen schleimige Space-Bugs austauschen? „Basen-Bau ist so was von Yester-year!“ riet ihm Dawn of War III, sein Bobo-Cousin, der in Wahrheit immer wie StarCraft sein wollte. „Nein, Basen-Bau gehört zu mir, wie Raynor zu den Raiders – der bleibt!“, beschloss das Spiel überzeugt. Es werde nichts an seinen Grundfesten ändern, und sich lieber Tipps von seiner Lieblings-Schwester Age of Empires II holen. Schließlich ist diese dank ihrer jüngst veröffentlichten Definitive Edition wieder beliebter denn je zuvor.

Der Papa wird’s schon richten

AoE4, wie es liebevoll genannt wurde, wolle sich im Mittelalter ansiedeln. Ritter, Könige und Burgen wolle es bieten. Kein dreckiges feindseliges Mittelalter wie dieser Schulhof-Bully Stronghold, sondern sonniges, buntes Gewusel. Das die Grafik dabei etwas zu comichaft und „Nicht zeitgemäß“ ausfallen könnte, störte das Spiel kaum. „Es sollen ja auch ältere PCs mit mir spielen können“ dachte es insgeheim. Außerdem ist der Look sowieso reine Geschmackssache. Erzieherisch wertvoll wollte es sein, und seinen jungen Fans Geschichte auf spielerische Art und Weise näherbringen. Also bat es seinen Vater ihm aufwändige Doku-Videos zu drehen, die es als Auftakt für seine Kampagne verwenden könne. Erst zögerlich gab der Ritter mit dem enormen Budget klein bei. Es wurden wunderschöne, hochauflösende und detailreiche Videos! Der Hof-Grafiker durfte endlich den Stilisierungsfilter in Photoshop ausprobieren, und die Zofe sprach mit so viel Elan die Texte ein, dass das Genre beinahe wieder in seinen hundertjährigen Schlaf viel. Ganze vier Kampagnen bot das Kind seinen treuen Fans, mehr als Starcraft II – Und das in nur einem Release!

Vielvölker-Spaß

Bei den Völkern wagte AoE4 dann doch etwas mehr Vielfalt als seine älteren Geschwister. Nicht in Sachen Umfang, aber in Sachen Abwechslung! Die Mongolen waren in der Lage ihre Gebäude einfach auf Pferdekutschen zu packen, und quer über die Map zu manövrieren. Die älteren Geschwister blickten argwöhnisch zu Dawn of War III. „Das ist sicher der progressive Einfluss dieses Rosses Relic, das auch bei dem da seine Finger im Spiel gehabt haben soll!“ nörgelten sie abschätzig. Aber der Plan ging auf! Die Rus und die Mongolen brachten frischen Wind in die angestaubte Formel, und eröffneten den Fans ganz neue Möglichkeiten. Und für die PuristInnen gab es ja immer noch die Engländer und Franzosen. So spielten sich die acht Völker abwechslungsreich und spaßig, und der Familienzwist legte sich wieder.

Kinder-Krankheiten

Age of Empires IV

In Sachen Multiplayer musste sich Age 4, wie es auch genannt wurde, klarerweise noch behaupten. Da hatten seine Geschwister immerhin jahrzehntelange Erfahrung, ganz zu schweigen von Mod-Support und Karten-Editoren. „Die werde ich sicher auch bald bekommen“ hoffte das Kind, „bis dahin muss ich mit meinen anderen Qualitäten überzeugen.“. Zum Beispiel mit dem verkürzten „Dunklen Zeitalter“, wo im Grunde eh immer dasselbe passiert. Dafür holte es sich Inspiration bei seinem Halbbruder Age of Mythologies, was Wahrzeichen und Weltwunder anbelangte. Die Chinesen konnten sogar beide Fortschrittsgebäude bauen, und neben den klassischen Zeitaltern in Dynastien aufsteigen – so was gabs davor noch nie. Und auch wenn Age 4 kein Freund von Stronghold mehr werden sollte: Belagerungsmaschinen und besetzbare Burgwälle schaute es sich dann doch von ihm ab. Lediglich bei den Seeschlachten patze das Spiel ein wenig – die wurden wohl in letzter Minute noch dazu gezimmert. Deren KI bedurfte jedenfalls noch einiger Verbesserungen.

Fazit zu Age of Empires IV

Und die Moral von der Geschicht? Lebt das Spiel glücklich bis ans Ende seiner Tage, oder muss sich das Genre wieder zur Ruhe legen, während der stolze Ritter bereits ein Techtelmechtel mit dem Master Chief plant? An dieser Stelle beende ich die Märchenstunde, und lege euch meine persönliche Meinung zu Age of Empires IV dar. Ich bin mit Spielen wie Warcraft und Starcraft aufgewachsen, und konnte deren flotten Ressourcen-getriebenen Partien immer etwas mehr abgewinnen. Age II spielte ich damals eher wie ein Aufbaustrategiespiel. Erst mal schön einigeln und in Ruhe alles aufleveln, um dann mit geballter Macht zuzuschlagen. Dass ich damit im kompetitiven Multiplayer keinen Blumentopf gewann, ist selbsterklärend. Age 4 ist sich dieser Nische durchaus bewusst, und setzt mit unterschiedlichen Völkern und Strategien gekonnt Akzente, um alle Arten von SpielerInnen zu erreichen. Ob das reicht, um ein ausgestorbenes Genre zu reanimieren, bleibt abzuwarten. Ich drücke Microsoft und Relic jedenfalls fest die Daumen, dass es die Mühe wert war, und die Verkäufe die hohen Produktionskosten wieder einspielen. Zumindest ein Booster für den Game Pass PC sollte das Spiel sein. Mir gefällt das Gesamtpaket aus Präsentation und Inhalt sehr gut, wenngleich die Kampagne keine sehr kohärente und fesselnde Geschichte erzählt. Wenn Microsoft das Spiel fleißig weiter unterstützt, und Maps, Editoren und Modi nachreicht, kann sich Age of Empires IV jedenfalls als kompetitives Gegengewicht zu StarCraft II behaupten.

Wertung: 8.5 Pixel

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