Comicvorstellung Heathen – Kampf gegen das altnordische Patriarchat
In Heathen begleiten wir Aydis bei ihrem wahnwitzigen Vorhaben, den König aller Götter von seinem Thron zu stoßen.
- Autorin und Zeichnerin: Natasha Alterici
- Schrift: Rachel Deering
- Verlag: Vault Comics
- Genre: Fantasy, Adventure
- Enthaltene Ausgaben: #1-4
Die furchtlose Kriegerin
Die furchtlose Wikingerkriegerin Aydis wurde aufgrund ihrer Liebe zu einer anderen Frau zum Tode verurteilt. Mit Hilfe ihres Vaters konnte Aydis jedoch mit ihrem treuen Pferd Saga in die Wildnis entkommen. Aydis sieht in diesem Schicksalsschlag eine ungeahnte Möglichkeit: Sie will ihren großen Mut unter Beweis stellen und die Walküre Brynhild retten, die in einem Feuerkreis eingeschlossen darauf wartet, befreit zu werden. Doch mit dieser Heldentat allein will sich Aydis nicht zufriedengeben. Sie hat genug davon, wie Frauen – Sterbliche wie Göttinnen gleichermaßen – unter der Herrschaft des Götterkönigs Odin behandelt werden und macht sich wild entschlossen auf, diesen von seinem Thron zu stürzen.
Frauenrechtlerin um 800 nach Christus
Es handelt sich bei Heathen also um eine hochmoderne Geschichte eingebettet in eine mystisch-historische Kulisse. Die weibliche Emanzipation in einer von Männern beherrschten Welt ist klar der Hauptfokus des Comics und wird von Aydis im Dialog mit Brynhilde auch direkt angesprochen: „Das ist, warum ich hier bin. Um zu beweisen, dass ich mutiger bin als ein jeder Mann. Um ihre fehlgeleitete Sicht auf uns [Frauen] zu korrigieren. So dass wir nicht länger unter ihrer Herrschaft leben müssen.“ Leider wird nie thematisiert, wie diese künftige, bessere Gesellschaft aussehen soll. Es bleibt stets bei dem Ziel, das Patriarchat zu stürzen, ohne darüber hinaus zu denken. Spannend finde ich weiters, dass Aydis das System brechen will, indem sie dessen Tugenden verinnerlicht, und als furchtlose Kämpferin zum „besseren Mann“ wird, wie sie selbst es ausdrückt. Mit ihr wird uns also keine Alternative zum gewaltverherrlichenden maskulinen Ideal in Odins Herrschaft geboten. Der Unterschied liegt nicht in den Mitteln, die Aydis einsetzt, sondern deren Zweck: Sie will mit ihrer Gewalt Frauen befreien, anstatt sie zu unterdrücken.
Und dieses Ziel möchte Aydis möglichst rasch erreichen. Dementsprechend flott schreitet die Handlung in Heathen voran. Bereits am Ende des ersten Kapitels haben wir ein Wiedersehen zwischen Aydis und einer alten Bekannten, einen Kampf gegen eine Gottheit, eine Jagdszene und das Erklimmen des Berges, auf dem Brynhild auf ihren Retter (oder ihre Retterin) harrt, hinter uns. An manchen Schauplätzen hätte ich gerne etwas mehr Zeit verbracht: So zum Beispiel im Reich der Liebesgöttin Freya, in der die Walküren zwischen Schlachten zu Ruhe kommen.
Kraftvoll und schlicht
Der expressive, skizzenhafte Zeichenstil in Heathen passt gut zu der schnellen Erzählweise und zaubert kraftvolle und dynamische Wesen aus seinem Strichgewirr. Die Gesichter der menschlichen Gestalten sind sehr simpel gehalten und wirken manchmal etwas verrutscht, doch die Tiere – seien es Eber, Wölfe oder Pferde – sind stets majestätisch und lebendig. Die äußerst schlichten Hintergründe tragen mit ihren gedämpften Farben zwar zur Stimmung bei, verraten jedoch nur marginal etwas über die Szenerie. Mir schienen die Schauplätze dadurch wie eine nebelhafte Zwischenwelt, die die menschliche mit der der Götter verbindet.
Was ich nicht verstand, ist, warum alle menschlichen Figuren auch bei eisigen Temperaturen in Unterwäsche herumlaufen. Vor allem, wenn man den Kälteatem der Charaktere sieht oder wie sie sich bei einem Lagerfeuer aufwärmen. Das ist ausnahmsweise kein Kommentar darüber, wie sexualisiert die Figuren sind – denn das sind sie trotz der knappen Bekleidung keineswegs – sondern ein Bedauern über diesen Immersionsbruch.
Noch nicht ganz ausgereift
Eigentlich müsste ich bei Heathen in pures Entzücken ausbrechen: Ich liebe Geschichten über unabhängige, mutige Heldinnen. Ich bin fasziniert von altnordischen Sagen und beschäftige mich seit langem mit Feminismus. Dennoch konnte mich Aydis Reise nur teilweise begeistern. Die Welt, die Geschichte, Beweggründe der Charaktere sowie teilweise auch die Zeichnungen selbst scheinen mir zu schemenhaft, um mich vollends in Heathen eintauchen zu lassen.