Halo: Infinite im Test – “Spartan” den falschen Stellen
Ob Halo Infinite zum Showcase für die Xbox Series Generation wird, oder ob das ambitionierte Open-World-Spiel an den eigenen Erwartungen scheitert, lest ihr in meinem Test
- Entwickler: 343 Industries
- Publisher: Microsoft Game Studios
- Genre: Ego-Shooter
- Single- und Multiplayer
Zu Beginn meines Reviews muss ich ein umfassendes Geständnis ablegen: Die Xbox Series X ist meine allererste Xbox. Daher ist Halo Infinite auch das allererste Halo, das ich an Tag 1 auf der Plattform spiele, für die es ursprünglich entwickelt wurde. Zwar habe ich seinerzeit Halo: Combat Evolved für PC im Multiplayer gezockt, und was hatte ich für einen Spaß damit! Auch in Halo 5 Guardians und die Master Chief Collection habe ich kurz reingeschnuppert, aber keines davon je durchgespielt. Entsprechend vorahnungslog ging ich auch an diesen Test heran.
Nun aber genug der Einleitung! Nach einem Jahr Verzögerung wird es Zeit, in die Rolle von Spartan John 117 zu schlüpfen, und wieder einmal die Welt – ach was – die Galaxie zu retten! Nach einem grafisch imposanten Ankündigungstrailer auf der E3 2019, und einem eher lauwarmen Gameplay Trailer 2020 wurde das Spiel schließlich um ein ganzes Jahr nach hinten verschoben.
Handlung
Wir schreiben das Jahr 2560 CE. Die ganze Milchstraße wurde von den Verbannten erobert. Die ganze Milchstraße? Mitnichten! Denn ein kleiner Trupp unbeugsamer UNSC-SoldatInnen hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Allerdings wurde der Widerstand ziemlich dezimiert, genaugenommen treffen wir zu Beginn der Kampagne auf einen einzigen Überlebenden, den Piloten Echo 216. Ohne Treibstoff im Orbit des Zeta-Halo Rings gefangen und in den Wrackteilen der INSC Infinity treibend, empfängt der Pilot das Signal eines weiteren Überlebenden. Das seid natürlich ihr, der Master Chief! Nach einer kurzen Start-Sequenz geht es auch schon los. Mit einer letzten Kugel im Lauf der MK50 Sidekick stürzen wir uns ins Abenteuer, und in die Schwerelosigkeit des Alls.
Die Open World
Im ersten Level bekämpfen wir aus der traditionellen Ego-Shooter Perspektive Alien-InvasorInnen in den schlauchförmigen Gängen einer Raumstation, während wir diese zur Notlandung auf Zeta-Halo zwingen. Nach etwa einer halben Stunde Spielzeit öffnet sich eine Ladeluke zur Außen (oder Innen?)-Welt des Ringes, und das eigentliche Gusto-Stückerl des Spiels breitet sich vorm geistigen Visier unseres Helden aus: Die Open World!
Ubisoft-Formel Reloaded
Schon durchkreuzen wir schroffe Klippen, malerische Hügelketten und weitläufige Nadelwälder auf der Suche nach Grunt-besetzten Vorposten, Vorratskisten und Fortbewegungsmitteln. Dabei steht uns die neueste spielerische Errungenschaft des Chiefs zur Seite: der Greifhaken! Mit diesem praktischen Gadget schwingen wir uns auf Vorsprünge und überwinden Abgründe, oder ziehen uns einfach zu GegnerInnen heran, um diese mit gezielten Kinnhaken außer Gefecht zu setzen. Einmal eroberte Vorposten werden von weiteren Überlebenden des UNSC-Chors besetzt, und dienen fortan als Schnellreisepunkte und Nachschublager.
Wer sich hierbei an die Ubisoft-Formel á la Assassins Creed erinnert fühlt, irrt nicht. Viele der Nebenmissionen funktionieren ganz ähnlich wie bei den namensgebenden Auftragsmördern. Kleine Symbole auf der Karte markieren interessante Punkte, die darum werben erobert zu werden. Als Belohnungen winken neuen Waffengattungen, Rüstungs-Upgrades oder Fahrzeuge, die fortan bei FOBs (so der Name der Vorposten) angefordert werden können. Fahrzeuggeschütze von Warthog-Geländewagen können zudem mit geretteten Marines besetzt werden, um besonders effektiv in von Verlassenen besetzte Gebiete vorzudringen.
Neben den zu rettenden UNSC-SoldatInnen wird unser Held auch vom eingangs erwähnten Piloten, und einer K.I. namens „Die Waffe“ begleitet. Diese ist auf der Mission, ihre desertierte Vorgängerin Cortana auszuknipsen, auf Zeta Halo gestrandet.
Gameplay
So viel Open World auch in Halo Infinite stecken mag, im Grunde seines Herzens ist das Spiel immer noch ein astreiner Shooter. Zwei Waffen, verschiedene Granaten und drei Spezialgegenstände kann der Chief bei sich führen. Das Arsenal reicht von Assault-Rifles über Shotguns und Faustfeuerwaffen hin zu exotischem Alien-Geschütz wie dem Needler. Nebst altbekanntem Kriegsgerät geben auch neue Spielzeuge wie der Cindershot und der Skewer ein Stelldichein. Alle Waffen fühlen sich unterschiedlich und wuchtig an, und erfüllen ihren Zweck gegen unterschiedliche GegnerInnen-Typen. Das Treffer-Feedback ist Halo-typisch hervorragend umgesetzt. Direkte Treffer an Gliedmaßen lassen herannahende Feinde taumeln. Helme und Protektoren wollen ballistisch entfernt werden, damit Folgetreffer Ihre Wirkung entfalten. Manche WidersacherInnen verfügen, wie der Master Chief selbst, über Energieschilde, die einigem Beschuss standhalten, ehe sie effektvoll verpuffen.
Akustik vom Feinsten
Im Kampf verlassen sich erfahrene Spartans nicht bloß auf die Anzeigen Ihrer Mjolnir-Rüstung, sondern auch auf akustische Warnsignale. Geht das Energieschild zur Neige, macht sich das durch einen penetrant Signalton bemerkbar. Nach einigen Sekunden regeneriert sich der Schild dann wieder mit einem summenden Ladegeräusch. Überhitzende Waffen kündigen Ihr baldiges Dienstversagen durch ansteigende Betriebsgeräusche an und herannahende Granaten verraten sich durch metallenes Klirren. Auf der Audiospur weiß Halo Infinite voll zu überzeugen, und das Gunplay war schon seit jeher eine der größten Stärken der Serie. Lediglich die deutsche Synchro lässt meines Erachtens zu wünschen übrig. Der witzige Charme der Waffe verkommt zum peinlichen Flachwitz, und die heroisch rauchige Stimme des Chiefs weicht einem seltsamen Boyband-Tenor.
Repetitives “Gegrinde” statt lebendiger Open World
So großartig die Geschichte und das Gameplay von Halo Infinite auch sein mögen, so unausgereift präsentiert sich die Open World. Allfällige Nebenmissionen arten in repetitivem Gegrinde aus. Hier wollen Marines befreit, da Sendetürme sabotiert, und dort Reaktor-Silos in die Luft gejagt werden. Der Wow-Effekt dieser Aufgaben-Tretmühle nutzt sich rasch ab, und zurück bleibt der fahle Beigeschmack einer künstlich gestreckten Content-Suppe.
Dazu kommt, dass der Zeta-Halo Ring entgegen dem suggerierten E3 2019-Material kaum bis gar keine visuelle Abwechslung bietet. Zwar gibt es Tag-Nacht-Wechsel (was aufgrund der Beschaffenheit der Ring-Welt schon seltsam wirkt), aber keine Wetter-Effekte und keine unterschiedlichen Biome. Die ständig gleichen Grashügel mit Nadelbaum-Bewuchs reihen sich an blank liegende Rumpfstrukturen aus hexagonalen Metallsäulen. Großwild wie Nashörner und Hirsche sucht man vergebens, gelegentliche Vogelschwärme und vereinzelt umherirrende Nagetiere erwecken nur notdürftig den Eindruck eines pulsierenden Ökosystems.
Grafik und Präsentation
Grafisch merkt man Halo Infinite deutlich an, dass es ein Cross-Gen Titel ist, der auch auf älteren Systemen flüssig laufen muss. Auch die Entwicklungs-Schwierigkeiten der letzten Jahre dürften dazu beigetragen haben, dass Infinite nur im Anstrich das Next-Gen-Etikett verpasst bekam. Knackige Texturen und dichte Boden-Vegetation gibt es nur auf den Xbox Series-Konsolen und dem PC. Im Qualitäts-Modus der älteren Xbox-Generation sind 30 FPS das höchste der Gefühle. Beleuchtung und Material-Shader sind ein zweischneidiges Schwert. Während in Innenräumen grandiose SSR-Effekte glänzen, wirkt die Außenwelt flach und monoton. Die hohe Weitsicht zollt ihren Tribut mit nicht vorhandenen Schatten und einem mehr als deutlichen Übergang zwischen der Skybox und der eigentlichen Welt. Selten kommt das Gefühl auf, dass man sich tatsächlich auf der Innenseite eines gigantischen Rings befindet. Dazu kommen noch regelmäßige Frame-Drops selbst auf potenten PC-Systemen, wodurch Kameraschwenks und lineare Bewegungen zu stotternder Stop-Motion-Ästhetik verkommen. Während sich die Frame-Rate am PC entsperren lässt, kommen einige Animationen seltsamerweise in 30 FPS daher. Stichwort Animationen: Hier bedient sich Halo Infinite sehr auffällig dem Repertoire eines gewissen Doom-Guys. Wer das in Nebenmissionen das häufig bediente Klischee des „versenkbaren 90° Drehverschlusses“ gesichtet hat weiß sicher, wovon ich rede.
Multiplayer
Kommen wir zu guter Letzt noch zu dem Teil von Halo, der selbst bei mir rosarote Nostalgie hervorruft – dem Multiplayer. Anders als die Kampagne ist dieser kostenlos spielbar, und bereits seit November live. Wie seine Genre-Vertreter kommt auch Halo im Jahr 2021 nicht mehr ohne einen Battle-Pass aus. Nach harscher Kritik seitens der Fans hat 343 Industries bereits mehrmals am Fortschrittssystem nachgebessert, damit auch Gelegenheitsspieler:innen nicht zu rasch ins Hintertreffen geraten. Die Modi Slayer, CTF und Stronghold sowie Big-Team Battle stehen von Start weg zur Verfügung. Leaks zufolge sollen schon bald etliche weitere Modi und Maps folgen. Wie zu erwarten, spielen sich die Matches rasant und abwechslungsreich, und machen dank klarer Strukturen und wohlplatzierten Extras jede Menge Laune. Leider konnte ich noch keine Map entdecken, auf der man mit Skorpion-Panzern gegeneinander antreten kann. Das war im allerersten Halo mein absolutes Highlight! In der Kampagne gibt es das schlagkräftige Gefährt aber bereits, was auch auf ein baldiges Auftauchen im Multiplayer hoffen lässt.
Fazit zu Halo Infinite
Auch wenn meine bisherigen Schilderungen euch nur einen kleinen Einblick in den gewaltigen Umfang des bisher größten Halos gewähren, will ich doch zu einem Abschluss kommen. Leider ist Halo Infinite nicht das Referenz-Spiel für die nächste Generation der Xbox geworden. Dieser Titel gebührt weiterhin dem fantastischen Forza Horizon 5. Schlussendlich haben das tolle Gameplay und der solide Multiplayer nicht gereicht um die unausgereifte Open World, die durchwachsene visuelle Performance und das teils repetitive Gameplay aufzuwiegen. Trotzdem würde ich niemandem von Halo Infinite abraten. Immerhin gibt es das Spiel ab Tag 1 im unschlagbar günstigen Game Pass.
Der Master Chief gehört nun mal zur Xbox wie Kratos zur Playstation, und Mario zur Switch. Als Shooter weiß das Spiel auch im sechsten Teil auf voller Länge zu überzeugen. Als Open-World-Spiel muss Halo Infinite noch seine Hausaufgaben machen! Vielleicht richten es ja die kommenden Patches und DLCs. Unterschiedliche Biome, Nebenaufgaben und solidere Performance können noch vieles zum Guten wenden, und Halo Infinite nach einem holprigen Start doch noch zu dem Vorzeigetitel machen, den Microsoft sich gewünscht, und den Spieler:innen sich verdient hätten.