Kommentar: Haben wir ein Pokémon Problem?
Vielleicht geht es euch wie mir – nachdem Pokémon meine Kindheit maßgeblich geprägt hat, veränderte sich die Spielreihe zunehmend in eine ganz eigene Richtung. Ob mir dieser Weg gefällt oder ich ein ernsthaftes Pokémon Problem sehe, erfahrt ihr hier.
Background: Start auf der Switch
Die Fans haben sich nach den ersten Spieleeinträgen für die Switch (Let´s Go, Pikachu! und Let´s Go, Evoli!) über viele fehlende und vereinfachte Mechaniken beschwert. Aus diesem Grund ging ein Ausruf der Freude durch die Fangemeine, als Game Freak bei der Ankündigung von Pokémon Schwert und Schild verlautbarte, dass man wieder zum traditionellen Kerngameplay zurückkehren möchte.
Waren die Anschuldigungen gerechtfertigt? Kann Schwert und Schild etwas besser machen und welche Auswirkungen hat der neue Service, Pokémon Home, auf das Franchise?
Los geht’s, Pikachu und Evoli!
Die Spiele sind ein Remake von Pokémon Gelb und werden als Spin-Off der Hauptreihe beschrieben. Der Gedanke der Pokémon Company und Game Freak war, dass NeueinsteigerInnen, die noch nie mit Pokémon in Berührung gekommen sind, einen leichten Einstieg in das Franchise haben. Denn, wer nette positive Erfahrungen mit einem Spiel macht, ist eher dazu geneigt, sich einen Nachfolger zu holen. Die Verkaufszahlen sprechen für sich – 11.76 Millionen Exemplare wurden laut Nintendo bis 31.Dezember 2019 verkauft. Doch die Kritik, positiv wie negativ, ist stark im Rampenlicht.
Die Fans bemängeln vor allem, dass die beiden Spiele zu einfach sind, es im Kampf keine Herausforderung gibt und unterschiedliche altbekannte Features für diese Games entfernt wurden (z.B. Items, die zusätzlich Statuswerte verbessern). Damit geht viel Tiefe im Kampfsystem verloren. Außerdem wurde die Mechanik, gegen wilde Pokémon zu kämpfen und sie zu besiegen, auch aus den Spielen genommen. Wenn ihr einem Pokémon begegnet, so bleibt nur die Option, es zu fangen. Durch das Aufrufen des Pokémon-Lagerungssystem immer und überall, wurde das Spiel um ein Vielfaches vereinfacht. Nun kann man die geschwächten Team-Pokémon gegen andere austauschen und mit voller Kraft weiterspielen.
Die wilden Monster laufen in ihren Habitaten sichtbar herum. Das bedeutet, es gibt keine Zufallskämpfe mehr, was sehr positiv aufgenommen wurde. Die Fangmechanik hingegen ist leider nur durch eine Wurfbewegung mit dem Joy-Con möglich. Das Fangen per Knopfdruck ist nur im Handheld-Modus nutzbar, aber selbst dann muss per Bewegungssteuerung das Pokémon anvisiert werden. Das bedeutet, dass entspanntes Spielen in der Öffentlichkeit nicht möglich ist, da die Switch in verschiedenste Richtungen bewegt werden muss, um das Monster zu erfassen. Der Pro Controller kann leider gar nicht verwendet werden – lange Sessions sind mit großen Händen nicht möglich, zumindest verkrampfen meine immer nach 2h mit den Joy-Con. Die Funktion, dass euch ein Pokémon hinterherlaufen kann, wurde wieder hinzugefügt. Auch NPCs hatten sichtbare Pokémon-Begleiter. Damit wurde bei vielen Fans Wiedergutmachung geleistet. Allerdings stieß vielen die Tatsache, dass der einzige Weg, um das Pokémon “Mew” zu bekommen, darin liegt, einen separat erhältlichen Pokéball Plus-Controller für 40-50 Euro zu erwerben, übel auf. Die typische Phrase besagt immerhin „Schnapp´ sie Dir alle!“, aber dazu später mehr.
Neue Generation, neue Chance
All dies sollte mit Schwert und Schild, den ersten richtigen Kernspielen für die Heimkonsole wieder verschwinden. Es wurde angedeutet, dass man zu den Wurzeln zurückkehren und für die Hardcorefans mehr Komplexität einbringen wolle. Entwicklerstudio Game Freak versuchte ebenso, mehr auf die Kritikpunkte von Pokémon Sonne und Mond einzugehen, weil diese die letzten Hauptspiele des Franchise waren. Die Kritik von diesen Spielen ist, dass die Spiele ebenso zu einsteigerfreundlich sind und einen sehr langsamen Story-Fortschritt haben. Das Tutorial ist langatmig und man wird das ganze Spiel über an die Hand genommen.
Die Fans wünschten sich Auswahlmöglichkeiten für Schwierigkeitsgrad und Dialogentscheidungen für das Tutorial – Wählt ob ihr euch als AnfängerInnen, TrainerInnen oder Champion seht und beantworte Fragen, bezüglich der Spielelemente, die euch Tutorialabschnitte überspringen lassen. Die Spielereihe hat aber immer Endgame-Inhalt, welcher für die SpielerInnen gedacht ist, die anspruchsvolle Kämpfe und Herausforderungen suchen. Somit wurde diesem Thema ausgewichen.
Pokémon Schwert und Schild waren die Hoffnung am Horizont, jedoch nur für kurze Zeit.
Die Schreckensnachricht
E3 Juni 2019: Junichi Masuda erklärt auf der Nintendo Treehouse-Bühne, dass es zunächst nicht möglich sein wird, Pokémon von alten Spielen in die neuen Editionen zu transferieren. Zusätzlich wurde der Nationale Pokédex gestrichen. Das heißt, nur die Pokémon können gesammelt werden, die in den Editionen verfügbar sind. Im Endeffekt sind zirka 400 von 890 Monstern in den Spielen. Da die Region, namens Galar, optisch an Großbritannien angelehnt ist, wird im Netz vom „Dexit“ gesprochen. Inspiriert vom Brexit, den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs – Also diesmal wirklich Schluss mit „Schnapp´ sie Dir alle!“
Damit hatten Schwert und Schild schon einen schlechten Stand bei der Community. Wettbewerbsfähige Pokémon und individuelle Favoriten, die über Generationen mitgenommen wurden, können nun nicht mehr benutzt werden. Die Erklärung von Masuda für das Entfernen von Pokémon ist, dass es mittlerweile zu viele Monster sind und die Arbeitskraft soll auf die Qualität von Grafik, Animationen und generelle Leistung konzentriert werden. Die „Verbesserungen“ hat die Gameplay-Demonstration nicht gezeigt. Die Textur der Umgebungen und die Animation von Attacken sind leider mehr als enttäuschend. Einige meinten, dass bis zur Veröffentlichung noch Zeit wäre und an diesen Mängeln noch gearbeitet werden kann. Viele verglichen die Texturen mit The Legend of Zelda Breath of the Wild, und die Animationen mit Pokémon Stadium.
Was gibt´s Neues ?
Die große Neuerung dieser Generation ist die Dynamaximierung. Mit diesem Spielelement werden Pokémon und ihre Attacken über drei Runden stärker. Die Pokémon werden dabei riesig, verändern aber nicht ihr Äußeres. Nur bestimmte Monster können, bei einer weiteren Stufe des Phänomens, der Gigadynamaximierung, ihr Aussehen verändern.
Viel Komplexität bringt das allerdings auch nicht mit sich. Da diese Mechanik hauptsächlich nur in Arenen nutzbar ist, werden normale Trainer-Kämpfe schnell eintönig. Den Fans gefällt dies nicht, weil es im Gegensatz zur Mega-Entwicklung etwas einfallslos erscheint. Im fertigen Spiel ist es, zumindest die ersten Male, sehr imposant, diese riesigen Pokémon mit dem Jubel der Arenabesucher zu erleben.
Die Mechanik, gegen wilde Pokémon zu kämpfen, ist wieder integriert und jedes Teammitglied bekommt nach dem Kampf Erfahrung, wodurch das Spiel nach kurzer Zeit wieder zu leicht wird. Die Handheldsteuerung ist diesmal ohne Bewegungsfunktion und bei Bedarf kann auch mit dem Pro Controller gespielt werden. Das kurze Tutorial, mit Fragen wie „Weißt du denn überhaupt wie man Pokémon fängt?“, wird sehr gelobt. So können erfahrene SpielerInnen viele Dialoge einfach überspringen. Das Voranschreiten der Story fängt etwas langsamer an – bis zur ersten Arena sind es vier Stunden, danach sind die Arenen schnell hintereinander erreichbar. Meist trennen die Städte nur eine Route und Höhle, welche leider sehr linear aufgebaut sind – kaum Geheimnisse oder Abzweigungen sind zu finden. Backtracking-Elemente sind komplett aus dem Spiel genommen, wobei die Lösung in Pokémon Sonne und Mond – VM-Attacken zu entfernen und durch PokéMobil zu ersetzen – sehr gut gelungen ist. Viel Zeit verbringt man also nicht in den Gebieten.
Die Erwartungen waren bei vielen zu hoch. Ein Zelda Breath oft the Wild mit Pokémon wurde gewünscht. Ein Ansatz in die Richtung, Open-World, wurde mit der „Naturzone“ – eine offene, größere Spielregion mit dynamischem Wetter und entsprechenden Pokémon – versucht. Hier sind auch einige Aufgaben zu erledigen: Geschwindigkeitsherausforderungen mit dem Rad, Items finden und Pokémon aller Evolutionsstufen fangen und bekämpfen. In dieser Zone befinden sich auch die neuen Raid-Kämpfe: Vier SpielerInnen kämpfen gegen ein durchgehend dyna- oder gigamaximiertes Pokémon. Die Wartezeit, bis im Online-Modus andere SpielerInnen gefunden werden, ist lang, wenn man denn überhaupt jemanden findet. Als wäre das noch nicht genug, bleibt dann doch nur die Möglichkeit, gemeinsam mit NPCs gegen diese unglaublich starken Riesen anzutreten – doch wenn ich das einzige brauchbare Pokémon habe und die Begleiter Karpador, Pikachu und Evoli benutzen, dann ist das öfters frustrierend als motivierend. Dazu kommt, dass der Raid nach zehn Runden oder vier kampfunfähigen Pokémon vorbei ist. Um uns von diesen nervenaufreibenden Aktivitäten zu erholen, wurde das neue PokéCamping eingeführt. Dabei spielt ihr mit sechs Team-Pokémon und kocht für sie leckeres Curry. Es gibt eine Sammlung von 151 Rezepten namens Currydex. <Sarksasmus>Hoffentlich ist da nicht die Arbeitskraft eingeflossen, die nötig ist, um weitere Pokémon in die Spiele zu integrieren. </Sarkasmus>
Wie immer sind manche der neuen Pokémon-Designs unbeliebt. Bei den vier neuen fusionierbaren Fossil-Pokémon ist leider keine einzige Form ansehnlich. Ebenso den Pinguin mit Eiswürfel auf dem Kopf, hätte man anders darstellen können. Das sind nur ein paar Beispiel aber diese zeigen, dass Game Freak nicht viel Mühe in das Design steckt. Dies ist eine subjektive Meinung und vielleicht sehen andere SpielerInnen genannte Pokémon als Favoriten.
Die Hoffnung
Der 9. Jänner 2020: In einer Pokémon Direct (wir berichteten) wurde, unter anderem, der neue Expansion Pass für Schwert und Schild angekündigt. Masuda sagte explizit, bestehender Inhalt wird erweitert, ohne eine neue Spezial-Edition zu produzieren – Also statt 60 Euro zahlen wir diesmal nur 30 Euro und wir müssen das Abenteuer nicht neu beginnen.
Die Erweiterung beinhaltet „Die Insel der Rüstung“ für Juni und „Die Schneelande der Krone“ für November. Gezeigt wurden die neuen Gebiete, mit neuen und zurückkehrenden Pokémon – darunter auch viele legendäre und gigadynamax Formen. Damit sieht es so aus, als würde 2020 kein Hauptspiel kommen – gut so, dann kann sich Game Freak mehr Zeit für die nächsten Spiele lassen und auf die neue Kritik eingehen. Hier ein Kommentar von meinem Kollegen Mathias zur Erweiterung.
Auswirkung von Pokémon Home
Mit dem neuen Online-Lagerungssystem, für Smartphones und Nintendo Switch, ist es möglich eure Pokémon von den alten Nintendo DS und 3DS Spielen auf Pokémon Schwert und Schild zu befördern. Jedoch nicht alle! Durch den „Dexit“ können eben nur bestimmte Monster übertragen werden und alle anderen müssen es sich auf der Online-Datenbank gemütlich machen. Denn der Weg zu Home ist ein One-Way Ticket, einmal dort kann können die Pokémon nur nach Pokémon Schwert und Schild. Der Fokus liegt nicht nur beim Transferieren, sondern auch beim Tauschen. Pokémon Home bietet das Globale Tausch System (GTS) an, um die Sammlung stetig zu vergrößern oder zu verbessern. Weitere Infos zu Pokémon Home.
Ich selbst habe zum Einstieg für einen Monat bezahlt, um abzuwägen ob es lohnenswert ist. Ich kann es auf den ersten Blick nur empfehlen: Die Idee, dass die gesamte Sammlung übersichtlich dargestellt werden kann, ist hervorragend. Ein kostenpflichtiges Abonnement wird vorausgesetzt, ansonsten können nur 30 Monster gelagert und keine von Nintendo DS und 3DS übertragen werden.
Nach genauer Betrachtung, in diesem ersten Monat, habe ich alle meine 2860 Taschenmonster auf einem Fleck und kann nur einen kleinen Anteil auf die neuen Spiele geben. Wenn ich nun nicht weiterzahle, kann ich auf meine Pokémon nicht mehr zugreifen. Diese werden in der Cloud gesichert und sobald der Premium-Dienst wieder aktiviert wird, erhaltet ihr erneut Zugang zu euren Monsterchen. Doch wie lange werden die Pokémon gespeichert? Im Juni kommt die erste Erweiterung, für Pokémon Schwert und Schild und damit eine Erweiterung des Pokédex’. Sind meine Pokémon ohne Abo bis dahin sicher?
Um der Angst um Verlust zu entgehen und die Tauschfunktion zu nutzten, steige ich nun auf das Jahresabo, welches 17,49 Euro kostet, um. Im Vergleich zum Jahresabo von Pokémon Bank, welches nur 4,99 Euro kostet, ist das ein schöner Preisanstieg.
Ein weiterer Goldesel im Franchise. Das neue Motto sollte heißen: „Bezahle, dann bekommst du deine liebsten Pokémon aus dem Gefängnis frei!“
Do we have a Pokémon Problem? Meine Meinung
Der „Dexit“ ist zwar schade – meine Lieblinge Stollunior und Menki sind leider nicht dabei –, aber mit 400 Pokémon hat man genug zu fangen. Die Erweiterungsstrategie ist ganz nett, dieser Inhalt hätte aber auch schon im Hauptspiel vorhanden sein können. Alles was gezeigt wurde, ist um ein Vielfaches besser als jeder Aspekt von Pokémon Schwert und Schild. Die neuen Regionen scheinen viel mehr Geschichte zu haben, doch ob sich das bewahrheitet, wird sich im Laufe des Jahres zeigen. Die Struktur der Orte und Routen der Galar Region sind viel zu linear. Damals hatte ich bei der Siegesstraße, in Pokémon Smaragd, eine Woche gebraucht, um den Ausgang zu finden, weil ich noch sehr jung war und die Höhle ein riesiges Labyrinth ist. Die Euphorie, die ich verspürte, als ich den richtigen Weg fand, ist unbeschreiblich. Ein paar mehr Abzweigungen und versteckte Geheimnisse hier und da würden nicht schaden. Außerdem würde ich mir wünschen, dass auf dem Weg zu legendären Pokémon wieder Prüfungen auf mich zukommen.
Rätsel-Beispiele von Pokémon Smaragd:
Im Himmelsturm müssen Löchern auf mehrere Ebenen, mit dem Eilrad, umfahren werden um zu Rayquaza zu gelangen.
Um das Golem-Trio Regirock, Regice und Registeel zu bekommen, müssen mehrere Brailleschrift-Tafeln entziffert und die anschließenden Rätsel gelöst werden.
Viele Pokémon-Designs sind qualitativ niedriger als in früherer Spielen. Starter- und die legendären Pokémon sind sehr einfach gestaltet. Viele Fans haben bessere Artworks gezeichnet und ich würde mir wünschen, dass sich Game Freak davon inspirieren lässt oder Kooperationen eingeht. Nachdem wir mit der Mega-Entwicklung ein interessantes Spielelement bekamen und die Dynamaximierung hauptsächlich nur in bestimmten Kämpfen möglich ist, hat das Spiel in normalen Kämpfen nur minimal strategische Tiefe. Dadurch, das dass alle Pokémon schnell im Level steigen, bleibt nur der gegnerische Elementtyp zu beachten – viele Kämpfe erfordern wenig Aufmerksamkeit. Mir war klar, dass die neuen Spiele keine Grafik-Bomber werden, aber die Animationen und manche Texturen hätten noch mehr Arbeit vertragen können. Die Charaktere im Spiel bewegen sich wie Roboter und das muss heutzutage nicht sein.
Auch wenn ich vieles vermisse und die neunen Spiele meiner Lieblingsedition Smaragd nicht mal den kleinen Finger reichen können, hatte ich Spaß mit Pokémon Schild und Let´s Go, Pikachu!.
Wer hat Schuld am Dilemma?
Wir selbst: Über 16 Millionen Exemplare wurden in den ersten zwei Monaten von Schwert und Schild verkauft. Damit ist Pokémon, bis heute, das schnellst-verkaufte Switch Spiel.
Wenn wir also größere Veränderungen wollen, sollten wir nächstes Mal nicht gleich zugreifen und lieber ältere Regionen besuchen!