L.A. Noire (PS3) im Test #ThrowBackThursday
Kinoreif, bombastisch und eine Geschichte, die sich gewaschen hat. Das ist mein Urteil über L.A. Noire, das in vielerlei Hinsicht eigene Wege geht und in manchen Dingen ausgelatschten Trampelpfaden folgt. Lest mehr im Review! Zur offiziellen Website des Spiels geht es hier.
Worum dreht es sich in L.A. Noire?
Cole Phelps (gespielt von Aaron Staton), Jahrgang 1920, ist ein guter Offizier. Er glaubt an das größere Gute und ist ziemlich rücksichtslos dabei, den Weg zu dieser besseren Welt zu ebnen. Eigentlich hat er ein gutes Leben: Er ist verheiratet, wurde mit 18 in den Krieg geschickt und kommt als Kriegsheld wieder nach Hause. Phelps tritt dem LAPD (Los Angeles Police Department) bei, und hier steigt ihr ins Spiel mit ein.
Ihr merkt schnell, dass er einen großen Angriffspunkt hat, nämlich den Krieg. Anscheinend sind hier Dinge passiert, auf die Cole alles andere als stolz ist, und das führt dazu, dass er einfach nicht darüber reden will. Das bringt ihm zwar einen gewissen Ruf ein, aber Fakt ist, dass Cole Phelps als Perfektionist gilt. Wenn der gefeierte Kriegsheld etwas anfängt, bringt er es auch zu Ende.
So spielt ihr die erste Stunde des Spiels als Streife, was gewissermaßen als Polizeischule (gleichnamig auch die Trophäe dafür) durchgeht. Ihr erlernt also das Handwerk von der Pike auf und geht Schritt für Schritt vor. Dass dazu nicht nur Waffengewalt, sondern auch viel Fingerspitzengefühl gehört, ist klar. Wie das Leben eines PS3-Detektiven so aussieht, seht ihr im nachfolgenden Trailer!
Der Alltag hinterlässt Spuren
Nachdem ihr euch in L.A. Noire so richtig warmgespielt haben, bekommt ihr auch schon euren ersten Fall. Es gilt, das Opfer zunächst genau zu untersuchen und eventuell sogar eine Identität festzustellen. Hierzu zoomt das Spiel nahe an die Leiche heran und lässt euch dann verschiedene Hotspots aktivieren. Der Kopf des Opfers lässt sich drehen, die Jackentasche öffnen, die Innentasche durchsuchen, und was ist dieser seltsame Fleck am Boden? Handgelenke lassen sich ebenfalls drehen, und wenn da irgendwelche Spuren zu sehen sind, beginnt Cole schon, diese zu kommentieren.
Lasst euch dabei ruhig Zeit, denn nichts drängt euch bei der Ermittlung. Danach solltet ihr ganz logisch den Tatort unter die Lupe nehmen, denn wer weiß schon, welche Spuren nützlich sind? Patronenhülsen, Fußspuren oder vielleicht sogar die Tatwaffe selbst verbergen sich dort. Ganz Heavy Rain-like marschiert der Hauptheld langsam herum, und wenn ihr an einen interessanten Ort gelangt, gibt es einen akustischen Hinweis. So gelangt die Hintergrundmelodie während der Untersuchung plötzlich an einen kleinen Höhepunkt, nur, um danach schnell wieder zu verflachen. So könnt ihr dann nach einem sanften Druck auf die X-Taste einzelne Gegenstände hochheben und drehen, um so noch mehr Hinweise herauszufinden.
Es gilt aber auch, die Augen aufzuhalten: Meist müsst ihr auch an Abwasserrohren und Leitern emporklettern, um aus der Vogelperspektive alles abzugrasen. Nicht einmal die kleinsten Details dürfen euch entgehen, ansonsten zieht sich das Spiel in die Länge, da ihr den Fall immer lösen müsst. Habt ihr soweit alles im Notizbüchlein vermerkt, geht es schlussendlich sogar an die Befragung der umstehenden Leute. Das Notizbuch ist ein kleiner Lebensretter, denn hier werden übersichtlich alle Fakten und Hinweise zum Fall sortiert und können per Knopfdruck ausgewählt werden, um sie im richtigen Moment einzusetzen. Gut, dass Cole Phelps hier pedantisch alles notiert!
Auge in Auge mit den Verdächtigen
So auch im direkten Gespräch: Während die Augenzeugen meist nur kleine (und wichtige) Hinweise geben können, sind die großen Fische (meist Bekannte des Opfers und/oder Täters) hervorgehoben. Das geht so weit, dass sie einen eigenen Befragungsbildschirm spendiert bekommen haben. Hier spielt die Gesichts-Engine von L.A. Noire ihre ganze Stärke aus, und es liegt an euch, wie ihr im Gespräch weiter verfahren wollt. Glaubt ihr dem Gegenüber, bezichtigt ihr den Gesprächspartner der Lüge – wofür ihr allerdings Beweise haben solltet – oder zweifelt ihr nur an der Aussage?
Man entwickelt nach und nach ein Gespür dafür, ob jemand vielleicht noch mehr sagen möchte, aber sich nicht traut, warum dies auch immer der Fall sein sollte. Meist spielen Hintergründe, die ihr im Vorhinein einfach noch nicht wissen könnt, die erste Geige in der Prioritätenliste der Befragten. Es ist weiters auch schwierig, herauszufinden, ob der/die Befragte wirklich die Wahrheit sagt, wenn er/sie etwas verunsichert wirkt. Jede dieser Figuren ist einmalig und es macht tierischen Spaß, hier etwas herumzuprobieren. Manchmal wird man überrascht, manchmal ist es einfach und manchmal lehnt man sich zurück und knobelt.
So legt ihr dank dem Notizbuch immer Fakt für Fakt vor, und im Verhör oder in der Einvernahme müsst die Mimik des Gegenübers genau lesen. Sieht die Frau jetzt weg, während sie spricht, oder ist dieser Geschäftsmann tatsächlich so ehrlich, dass er stets den Augenkontakt mit Phelps sucht? Hier wurde überragende Arbeit geleistet, und dies macht L.A. Noire zu einem Pflichttitel für Detektive sowie Fans der Machart eines Heavy Rain. Das hält sich auch im Jahre 2018, seht selbst:
Abwechslung und Tempowechsel
Was allerdings etwas lästig sein könnte, ist, dass ihr des Englischen unbedingt mächtig sein müsst. Das Spiel ist komplett in Englisch gehalten, und trotz deutscher Untertitel steckt so viel Emotion und Nuance in der Audiospur. Das bewirkt, dass ihr unbedingt die Lauscher aufsperren sollt, um in den vollen Genuss des Spiels zu kommen. Ebenso störend, weil einfach nicht wirklich hinein passen wollend, sind die kurzen Action-Einlagen in L.A. Noire. Ja, Team Bondi und Rockstar Games haben es gut gemeint und wollten auch den Action-Fans etwas bieten, so dürft ihr dann und wann Verfolgungseinlagen meistern oder einen kurzen Schusswechsel mit einer Überzahl an Feinden durchführen.
Es wird aber niemals so krass wie in einem GTA V, und dies ist wohl der gravierendste Unterschied zu den sonstigen Open World-Spektakeln wie Red Dead Redemption. Ihr gewöhnt euch mit außerordentlicher Geschwindigkeit an die grundlegende Gemütlichkeit in L.A. Noire, denn ihr habt eigentlich so gut wie gar keinen Zeitdruck. Die Ausnahme bilden die eben erwähnten Action-Einlagen, wo ihr die R2-Taste zum Spurt halten müsst oder die R1-Taste dazu verwendet, um Deckung hinter einem Gefährt zu suchen. Das mag nicht allen SpielerInnen gefallen und ist sicherlich ein Stolperstein für die puren Krimi-Fans.
Viel Storyverzweigung spielt es nicht in L.A. Noire. Wenn ihr beispielsweise im Verhör nicht so talentiert seid, kommt euch der Täter halt wieder aus. Dann spielt ihr weiter, bis ihr durch Sequenzen und Dialoge zum nächsten Beweisstück geführt werdet. Das wiederholt sich so lange, bis ihr den Übeltäter seiner Schuld überführen könnt oder zu einem falschen Schluss kommt. Klingt nicht so prächtig? Egal, L.A. Noire punktet viel lieber mit stilvoller Charakterentwicklung und dem Leben im Moment. Ihr spielt in einer eindrucksvollen Stadt namens Los Angeles in den 40er Jahren sowie eigenen, in sich abgeschlossenen Fällen, bis Phelps zum Detective ernannt wird und eine Mordserie zu klären ist…
Technisches Wunderwerk
Wo viel Licht ist, ist meist viel Schatten, und im Falle dieses Spiels trifft eine ganze Menge Licht auf einen winzigen dunklen Fleck. Im Vorfeld des Releases wurde die Mimik der Charaktere derart hoch gelobt, und bis heute kommt kaum ein Titel an diesen Level der Perfektion. Jeder Charakter spricht anders, reagiert anders, blickt anders, atmet anders, kratzt sich anders, um es kurz zu machen: Ihr könnt, wenn ihr gute Menschenkenntnis besitzt, viele (nicht alle!) Dinge in L.A. Noire vorausahnen. Die Texturen hingegen sind wohl die Problematik des Jahres 2011, hier sind ab und zu Unschärfen zu erkennen.
Wirklich schrecklich sieht L.A. Noire niemals aus, doch wenn ihr einmal in der immens detaillierten Verhörsituation wart, reichen danach die Texturen auf der Straße und auf den Wänden einfach nicht mehr aus. Das ist wohl die Natur des Menschen: Wenn ein Detail – in diesem Sinne wohl die Mimik der Charaktere – derart stark gezeichnet wurde, misst man den Rest des Spiels daran. Seien es die Mikroruckler, die teils auftreten, oder eben die im Vergleich ein bisschen matschigen Texturen: So etwas fällt dann doch störend auf.
Akustisch ist L.A. Noire eine Wucht, hier hat Rockstar Games viel investiert. Alles, wirklich alles spiegelt sich in der Tonlage und dem Dialekt der einzelnen Gesprächspartner wieder. Egal, ob Lüge, Unsicherheit oder Klartext, wenn ihr genau hinhört, werdet ihr langsam merken, wie der Hase läuft. Allerdings macht es einen gehörigen Unterschied, ob ihr einer verschüchterten Angestellten gegenübersitzt, einem schmierigen Verdächtigen oder aber einem bulligen Typen mit Knasterfahrung: Jeder tickt anders, und in diesem Fall klingt er auch anders. Einfach nur klasse.
Die Steuerung des Detektiven
Der einzige Knackpunkt, der auch schon Heavy Rain etwas zu schaffen machte, war das Handling im Spiel. Während nämlich Quantic Dreams‘ Heavy Rain rein auf das Herumlaufen und seine Quick Time Events ausgelegt war, schafft L.A. Noire mühelos den Übergang und orientiert sich hier mehr an Mafia II. Kurze Ausfahrten mit dem Wagen (ohne Zeitdruck!), kleine Kämpfe zwischendurch, hier und da mal eine Ballerei: Jede einzelne Steuerungsoption ist sehr gut durchdacht und austariert, so fühlt ihr euch niemals alleingelassen oder gar überfordert. Habt ihr mit Shooter-Einlagen so gar keine Freude, wird L.A. Noire hier für euch einen Frustpunkt darstellen.
Ebenso großer Pluspunkt geht an das Fahrverhalten der Vehikel: Sie kleben auf der Straße wie eine Eins, allerdings gibt es auch Ansätze von Physik, und so schleudert es schon mal übermütige Detektive auf dem Weg zum Einsatzort. Eine Zielhilfe unterstützt euch beim Schusswechsel, und das Deckungssystem funktioniert recht gut, dafür, dass es so wenig verwendet werden kann, die Actioneinlagen reduzieren sich auf eine Minderheit. Das ist so weit gut gelöst, immerhin steht ja die Story im Vordergrund. Phelps hat seine Schuss-Lorbeeren schließlich bereits im Krieg gesammelt.
Dennoch fühlt das ganze Gameplay sich etwas zu geführt an, und wenn ihr keinen Dualshock-Controller mit Vibrationsfunktion besitzt, sind die einzelnen Hinweise doch knackig zu finden. Vor allem bei der Detailansicht, wenn ihr etwa eine Waffe oder eine Schachtel dreht, ist die Vibration ungleich aufdringlicher und auffälliger als der kleine Zoom-Effekt, der darüber hinaus auch noch recht schwierig zu reproduzieren ist. Ihr seht schon, das ist Jammern auf hohem Niveau!
Fazit zu L.A. Noire: Brillante Produktion
L.A. Noire spielt im Verlauf des Games seine ganze Klasse aus und erreicht absolutes Referenzniveau. Die Mimik der Charaktere – man kann es nicht oft genug sagen – ist so glaubhaft, dass Verhöre richtig Spaß machen. Die SchauspielerInnen haben ihr ganzes Können in die Waagschale geworfen, und diesen Aspekt können SpielerInnen einfach nicht übersehen. Die Stadt wirkt bombastisch, die einzelnen Passanten reagieren unterschiedlich auf die Polizisten, und da ihr immer zu zweit unterwegs seid, könnt ihr so auch Verdächtige in den Action-Sequenzen gut in die Mangel nehmen.
Je länger ihr spielt, umso mehr wird euch der Korruptionssumpf innerhalb der eigenen Reihen zu Leibe rücken. Um so höher euer Ansehen steigt, umso vertrackter werden die Fälle … als würde euch jemand als Gegenspieler serviert werden. Oder ist dies nur Paranoia? Was auf alle Fälle gut gemacht wurde, sind die Zwischensequenz-Schnipsel innerhalb der Geschichte. Egal, ob ihr eine Zeitung lest, Cole Phelps sich an seine Vergangenheit erinnert oder ihr herumspaziert: Es funktioniert, wie alles mit Bild und Ton unterstützt wurde. Schon 2011 war diese Technik wegweisend für die kommenden Spiele.
L.A. Noire ist definitiv ein Meilenstein in der Videospielgeschichte. Es ist genau der Mix zwischen Film und Spiel, der ein Heavy Rain immer sein wollte. Um den Vergleich aufrecht zu erhalten, Heavy Rain und L.A. Noire sind Spiele vom gleichen Schlag: Sie haben eine gewaltige Geschichte zu erzählen, nehmen euch an der Hand, lassen euch in sich versinken und sind Unterhaltung nicht nur für euch, sondern auch für ZuseherInnen. Was auch noch beide Titel verbindet: Man kann sie lieben oder hassen, aber nicht ignorieren – und am Ende sind es genau diese Spiele, welche die (Videospiel-)Welt ein Stückchen vorwärts drehen.