Mittelerde: Schatten des Krieges – Die große Fanservice-Party in Mordor
Mittelerde: Schatten des Krieges platziert sich zwischen großem Fanservice und einer Rachestory, die den Motiven von J. R. R. Tolkien total widerspricht. Wer das ausblenden, ja sogar zu schätzen weiß, der wird mit dem Action-Rollenspiel von Warner Bros. Großen Spielspaß erleben.
Was ist besser als ein Ring? Zwei Ringe!
Wolltet ihr schon immer mal sehen, wie der Hexenkönig von Angmar auf Sauron trifft oder wie die Spinne Kankra als sexy Goth aussieht oder wolltet ihr neben dem Einen Ring noch einen Zweiten Ring der Macht schmieden? Ja oder verspürt ihr sogar das große Bedürfnis mal einem Balrog so richtig eins auf die Schnauze zu hauen? Dann seid ihr in der Welt von Mittelerde: Schatten des Krieges gut aufgehoben! Das Spiel nimmt sich storytechnisch sehr viele Freiheiten, die besonders bombastisch sind, jedoch nicht ins Tolkien-Universum passen. Selbst Gandalf nutzt in den Büchern und Filmen nur sehr selten Magie. Der Waldläufer Talion, der mit dem Geist des mächtigen Ringschmieds Celebrimbor verbunden ist, ist hingegen der härteste Badass, den Mittelerde in allen Zeitaltern zu Gesicht bekommen hat. Neben seiner Unsterblichkeit pflügt der Protagonist durch Heerscharen von Orks. Das ist mehr als unpassend und wird vor allem viele Buch-Fans vergraulen. Ich bin ein solcher Fan und konnte mit diesem speziellen Szenario aber trotzdem irgendwann arrangieren. Das Spiel ist wie ein Blockbuster, der sich die kühnsten Schlachtenträume herauspickt und inszeniert. Außerdem wird gerne auch Namedropping genutzt und altbekannte Gesichter wie Gollum oder eben der Hexenmeister, werden ins Rennen geworfen. Nimmt man dieses Setting nicht all zu ernst, kann man mit Mittelerde: Schatten des Krieges sehr viel Spaß haben. Ich verstehe aber auch, dass für einige die Story abschreckend wirken kann und die Achterbanfahrt durch Mittelerde unspielbar macht.
Meine ganz persönliche Nemesis
Hat man das Tutorial und Akt 1 durchgespielt, entfaltet sich die Welt von Mittelerde: Schatten des Krieges und alles ist größer, besser, epischer als im Vorgänger. Vor allem aber ist dann das Nemesis-System voll im Einsatz. Wer davon noch nie gehört hat: Prozedural generierte Orks mit klangvollen Namen wie „Ugluk Knochenknacker“, die allesamt über eigene Stärken und Schwächen verfügen, durchkämmen ganz Mordor. Dabei gibt es in jedem Gebiet eine Hierarchie aus orkischen Hauptmännern bis hin zum ganz obersten Anführer. Trifft Talion auf einen dieser Hauptmänner können diese getötet oder wenn sie stark geschwächt sind, sogar per Gedankenkontrolle übernommen werden. Das war im Vorgänger auch schon möglich, jetzt macht das ganze System aber erst richtig Sinn. Ihr könnt eure Orks befehlen, dass sie feindliche Grünhäute angreifen oder sich sogar als deren Bodyguard bewerben. Bei einer Konfrontation mit Talion fallen diese dann dem feindlichen Ork in den Rücken und der Ork steht ohne Beschützer da. Euren Lieblingsschläger könnt ihr sogar zum eigenen Leibwächter befördern, der dann auf Knopfdruck mit euch in die Schlacht zieht.
Jeder Ork ist eine einzigartige, hässliche Schneeflocke
Was habe ich Zeit in diesem Spiel verbracht nach besonders starken Orks Ausschau zu halten und auf meine Seite zu ziehen? Dabei verfügen die Grünhäuter über eine eigene Persönlichkeit. Manche stehen auf vergiftete Waffen, andere nutzen Fernkampf, wieder andere reiten auf einem Caragor in den Kampf. Außerdem haben einige Angst vor Feuer, Gift, Schleichangriffen oder Spezialangriffen wie Exekutionen. Diese Nachteile können von Talion herausgefunden und ausgenützt werden. Zündet man zum Beispiel einen Ork an, der vor Feuer Angst hat, ist dieser benommen und ist für kurze Zeit kampfunfähig. Trifft man hingegen auf einen Feuerresistenten, dann wird er wütend, erhält neue Kräfte und schlägt wild um sich. Mit den vielen Möglichkeiten die Hauptmänner gegeneinander auszuspielen, zu rekrutieren und den unterschiedlichen Eigenschaften können dann ausgefuchste Pläne geschmiedet werden, wie die feindliche Festung endlich übernommen werden kann. Aber Orks sind eben Orks und so ist es mir schon mitten im chaotischen Schlachtgetümmel auch passiert, dass mich meine eigenen Hauptmänner verraten haben und auf mich losgingen.
„Die Welt ist im Wandel“
Durch diese vielen Kleinigkeiten erzählt Mittelerde: Schatten des Krieges abseits seiner eigentlichen Story viele kleine Geschichten, die ich mitgestalte. Ein schönes Beispiel davon war bei mir der Ork „Tarz der Barde“. Der hat als kleiner Ork (da war er noch nicht mal Barde, geschweige den Hauptmann) angefangen und mich in einer Unachtsamkeit getötet (passiert auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad sehr, sehr oft). Durch die Tötung Talions ist Tarz zum Hauptmann aufgestiegen. Bei der erneuten Konfrontation mit ihm – das kann ein Talion schließlich nicht auf sich sitzen lassen – verspottet er den Waldläufer und bezieht sich dabei auf das letzte Zusammentreffen. Leider habe ich diesen Kampf wieder verloren und wieder wurde der großkotzige Ork stärker. Das ging sogar soweit, dass er sich dann zum Anführer der Festung „hochgemordet“ hat. Die Glückseligkeit war daher groß, als der unsägliche, höhnende Tarz in einem Endkampf dann doch noch endlich ins Gras gebissen hat. Selten war die Genugtuung in einem Videospiel so groß, einem Feind mein Schwert in die Eingeweide zu rammen. Das mag zwar blutrünstig, brachial und unmoralisch klingen, hat zu meiner Verwunderung aber trotzdem sehr viel Spaß gemacht. Da erhält das Zitat von Galadriel „Vieles was einst war ist verloren, da niemand mehr lebt, der sich erinnert.“, eine ganz neue Bedeutung. Das ist nur eine von vielen Miniepisoden, die sich im dynamischen Nemesis-System ergeben und mich immer wieder in die Welt von Mittelerde zurückkehren lässt.
Der Loot, mich zu knechten, sie alle zu finden…
Apropos Mittelerde, mit Talion bereise ich Gebiete wie die Festung von Nurn, Minas Ithil, dem späteren Minas Morgul oder sogar Gorgoroth (Festung Barad-dûr). Nachdem sich das Spiel bereits bei der Batman Arkham Reihe beim Kampfsystem bedient und beim Parkoursystem stark an Assassin’s Creed erinnert, dürfen bei der Open World auch die ubsisoftschen, blinkenden Icons auf der Map nicht fehlen. Im Grunde gibt es pro Gebiet immer drei Türme zu besteigen, drei Kankrarätselchen zu lüften, sechs Ithildin-Gedichtfragmente zu sammeln und elf gondorische Artefakte zu sammeln. Und was soll ich sagen, gut geklaut ist besser als schlecht neu gemacht! Alle Aufgaben bringen Fähigkeitspunkte und/oder sehr wertvollen Loot. Ich bin normalerweise ein Spieler, der solche immergleichen Mininebenquests ohne mit der Wimper zu zucken auslässt. Aber irgendwie hat es Mittelerde: Schatten des Krieges geschafft, dass ich diese Aufgaben doch zumeist erledigt habe. Besonders das Lootsystem greift bei mir sehr gut, da ich Talion mit Schwert, Dolch, Bogen, Rüstung, Kapuze und sogar Ringupgrades versorgen kann. Der Unterschied, wenn man endlich einen stärkeren Gegenstand ausgerüstet hat, ist deutlich spürbar und motiviert mich zur Suche nach immer besserer Ausrüstung.
… Ins Dunkel zu treiben und mich an Echtgeldkäufe zu binden
Außerdem kann Talion im Kampf nachhelfen und sich einmischen, wenn z.B. zwei Hauptmänner gegeneinander antreten. Bestenfalls ist es dabei sogar möglich am Ende beide der Orks zu rekrutieren und damit die eigene Armee zu stärken. Aus den genannten Gründen gibt es wahnsinnig viel zu tun und zu erleben. Das Wichtigste bleibt jedoch, die stärksten Orks für sich zu rekrutieren und dabei hat sich Warner Bros. einen unschönen Kniff geleistet. Ihr könnt im Spiel immer wieder die Währung Mirian finden. Mit der könnt ihr dann im Online-Shop Pakete kaufen, wo unter anderem legendäre Orks enthalten sind, die so kaum im Spiel zu finden sind. Mirian könnt ihr euch aber auch per Echtgeld ersteigern. Die Krux daran ist, dass nach dem dritten Akt die Story vorbei ist und ihr noch weitere Festungen einnehmen und verteidigen könnt. Der Schwierigkeitsgrad zieht dabei noch einmal ordentlich an! Ich bin mit meinem Ingame gesammelten Mirian gut ausgekommen und empfinde es trotzdem als bodenlose Frechheit in ein Vollpreisspiel solche Microtransaktionen einzubauen. Das einzige Gute daran ist, dass das Spiel normalerweise auch ohne Echtgeldkäufe gut durchspielbar ist. Übrigens, wer eine kleine Einstiegshilfe ins Spiel möchte, findet hier unseren Guide.
Mittelerde: Schatten des Krieges Fazit
Ich muss bei Mittelerde: Schatten des Krieges die zwei Seiten der Medaille bemühen. Die Story ist aus Tolkien-Sicht absoluter Humbug, weiß jedoch Popcorn-Kinoartig große Begegnungen und Momente packend zu inszenieren. Welcher Herr der Ringe Fan wollte nicht schon mal durch Minas Morgul laufen und den Hexenkönig zum Duell fordern? Die Mikrotransaktionen finde ich zwar frech, tangieren mich zum Glück aber überhaupt nicht. Die positive Seite ist die sinnvolle Erweiterung des Nemesis-Systems, dass wunderbar seine ganz eigenen Geschichten erzählt, die von mir auch noch beeinflusst und gestaltet werden können. Nach gut 25 Stunden hat sich das Spielprinzip dann zwar etwas abgenützt, dann läuft aber auch schon der Abspann. Da mich, die oben genannten Kritikpunkte nicht so schwer treffen, kommt für mich bei Mittelerde: Schatten des Krieges die positive Seite der Medaille stärker zum Vorschein. Mir hat das Aufbauen der eigenen Armee, gepaart mit dem Kampf- und Lootsystem für lange Zeit, sehr viel Spaß bereitet.