Neverwinter (PS4) im Test

von Mandi 16.07.2016

Das Studio Cryptic hat im Jahr 2013 das MMO auf den PC gebracht. Drei Jahre später kommt das Game nun auf die PS4 – doch wie schlägt sich der Titel hier? Lest hier unser Review zu Neverwinter!

Die ersten Schritte

Wie es für MMO-Spiele so üblich ist, beginnt auch euer Abenteuer in Neverwinter mit der Charakter-Erstellung. Hier habt ihr eine Auswahl zwischen neun Rassen und acht Klassen. Hier ist einiges möglich, ich persönlich als magieaffiner Typ habe mich für den Vernichtenden Hexenmeister entschieden.

Ihr würfelt ganz Dungeons&Dragons-like eure sechs Charakterattribute aus. Stärke, Geschicklichkeit, Konstitution, Intelligenz, Weisheit und Charisma stehen zur Auswahl. Diese Wahl ist eine wichtige, denn mit Charisma fangen Kriegerklassen nun mal weniger an als MagierInnen.

Stärke beeinflusst eure Nahkampfkraft, wohingegen Geschick für das Ausweichen und Fernkampf zuständig ist. Konstitution erhöht euer Leben, dafür können sich intelligentere Charaktere schneller regenerieren. Weisheit und Charisma sind spezialisierter und kommen bei den mystischen Charakteren zum Einsatz. (Einen Mönch, das Paradebeispiel für Weisheit in D&D, gibt es nicht. Noch nicht?)

Neverwinter 2

Account-Erstellung und -verknüpfung

Flugs könnt ihr euch noch zwischen zwölf Gottheiten, diversen Herkunftsorten und Gesichtern entscheiden und ein paar Anpassungen vornehmen. Gottheiten, die Herkunft und das Aussehen haben aber keinen Einfluss darauf, wie ihr von der Welt wahrgenommen werdet. Das haben Singleplayer-Spiele wie Neverwinter Nights und sein Nachfolger besser gemacht. Auch Baldur’s Gate war da Vorreiter. Aber gut, weiter im Text.

Da ich Neverwinter schon einige Stunden am PC gespielt hatte, war ich natürlich an einer Accountverknüpfung interessiert. Allerdings – und das erscheint logisch – werden eure Charaktere nicht auf die PS4 übertragen. Ihr müsst also Neverwinter erneut von Beginn an spielen. Das habe ich gemacht.

Ihr bekommt zusätzliche Boni, wenn ihr euch sofort für den Kauf des Spiels entscheidet, da ihr ein paar Onyx-Gegenstände erhaltet. Diese sind dann im Game über das Postfach abzuholen, das funktioniert relativ einfach, sofern ihr euch in der Stadt zurechtfindet. Der Einstieg ist sogar für MMO-Games ziemlich massiv, ihr werdet viel lesen müssen und Shortcuts lernen.

Neverwinter 5

Die Story

Neverwinter beginnt mit einer dramatischen Konstante: Ihr allein gegen die Welt. Als gestrandeter Charakter müsst ihr euch zu den ersten befestigten Lagern durchschlagen. Eine Stimme aus dem Off sagt euch immer an, was als Nächstes zu tun ist, und so klickt ihr euch brav durch den Einstieg.

Ihr kämpft gegen eine Untotenarmee, an deren Spitze eine fiese Dame namens Valindra steht. Die Stadt Niewinter, das Juwel des Nordens, befindet sich im Krieg. So prügelt ihr euch durch die ersten 20 Minuten, bis ihr in der Protector’s Enclave ankommt. Diese Bastion des Guten beinhaltet alles, was das Herz begehrt.

Reittiere, Werkstätten, einen Marktplatz und mehr könnt ihr dort finden. Darüber hinaus befindet sich euer wichtigster Ansprechpartner in Neverwinter ebenfalls dort. Die Rede ist von Feldwebel Knox, der euch bis über Level 60 mit Quests versorgt und zu dem ihr im Zweifel immer wieder zurück müsst. Ihr unterstützt als PatriotIn natürlich die Lokalität und nehmt den Kampf gegen das Böse auf.

Neverwinter 6

Technisches in Neverwinter

Klar ist, dass Heimkino-BesitzerInnen mehr von der Stimmung im Spiel mitbekommen. Die Sounds und die Musik wirken ganz anders als über Stereo-Boxen, das Audio-Erlebnis ist unvergleichlich. Da reden Leute, da gibt es ein Hintergrundgedudel, da hört ihr Zauber – The Witcher 3: Wild Hunt macht es nicht besser.

Es gibt zwar einiges auf die Ohren, aber leider nicht so viel für die Augen. Ja, in den Instanzen und Gewölben, in denen ihr euch die meiste Zeit aufhaltet, ist das Spielerlebnis flüssig (zwischen 40 und 60 Bilder pro Sekunde). Doch kaum kommt ihr in ein belebteres Gebiet mit vielen Spielern, ruckelt der Spaß. Und zwar teils sehr, sehr heftig.

Die Protector’s Enclave, das Startgebiet, ist massiv davon betroffen. Keine Ahnung, wie das technisch gelöst wird, aber es scheint, als will die PS4 die ganze Stadt auf einmal darstellen und scheitert. Würde in solchen Stadtgebieten die Sicht etwas eingeschränkt werden, wäre es performancetechnisch kein Problem. In anderen Gebieten und Städten ist das Problem nicht so prominent, doch die Enclave verfolgt euch bis in den hohen Level, dementsprechend viele Charaktere tummeln sich dort.

Ein 1:1-Port der PC-Version

Gleich vorweg: Habt ihr Neverwinter schon am PC gespielt, wisst ihr, worauf ihr euch einlasst. Alle anderen müssen ihre Finger aufwärmen, denn das wird nicht ganz einfach. Als Menümonster erster Klasse präsentiert euch Neverwinter eine Fantastillion voller Möglichkeiten. Eine kleine Auswahl gefällig?

Ihr könnt Gewölbe und Gefechte starten, euer Menü aufrufen, den Charakterbogen öffnen, eure Gefährten verwalten und das Inventar anzeigen. Darüber hinaus gibt es aber verschiedene Märkte, die euch mit unterschiedlichen, sammelbaren Währungen konfrontieren. Je nach Region, in der ihr euch befindet, hat etwas Anderes einen Wert.

Da haben wir aber noch gar nicht die Berufe abgedeckt, die euch Erfahrung, Gegenstände und andere Boni bescheren können. Ihr wollt Quests wechseln? Ihr braucht ein Menü. Ihr wollt die Karte aufrufen, ihr wollt eventuell einen Chat starten? Ab ins Menü mit euch. Das Spielgefühl ist genau gleich, ob ihr nun auf dem PC oder auf der PS4 spielt.

Im Guten, aber auch im Schlechten. Da ihr auf einer Tastatur viel mehr Tasten habt als auf einem PS4-DualShock-Controller, mussten die Jungs und Mädels von Cryptic umdenken. Das führt zu Fingergymnastik, denn ihr lasst euren Charakter beispielsweise mit L1+X springen. Das Inventar öffnet ihr mit L1-Richtungstaste links, Spezialattacken löst ihr anders aus. Die Schulter- und Fronttasten sind für verschiedenste Angriffe reserviert.

Neverwinter 3

Etwas repetitiv, etwas unübersichtlich

Neverwinter will euch so viel präsentieren und hat in Wahrheit so wenig Raum. Kommt ihr aber mit den ganzen Menüs zurecht und habt genug Geduld für die Einführung, werdet ihr belohnt. Vom Umfang her ist das Spiel eines der größten seiner Art, vor allem die steten Erweiterungspacks geben euch immer und immer wieder etwas zu spielen.

Das Grundprinzip bleibt aber ganz MMO-typisch gleich: Ihr holt eine Quest, erledigt sie, gebt sie ab. Das kann zwischen zwei Minuten und bis zu 30 Minuten dauern, je nachdem, wie viele SpielerInnen in der selben Instanz unterwegs sind. Gerade bei den Einstiegsquests, wo ihr etwa Kisten verbrennen solltet, kann es sein, dass euch immer jemand anderes das Ziel vor den Augen wegheizt. Meh.

Auch das Lootsystem ist etwas eigen. Jede Klasse kann nur ihre eigene Ressource (Arkanamagie, Religion, Natur, Diebstahl) problemlos abbauen, für alle anderen Typen benötigt sie Werkzeug. Das gibt euch ständig das Gefühl, dass ihr ein wenig Loot verpassen könntet. Bis ihr so viel Geld zusammen habt, ständig sämtliche Werkzeuge in ausreichender Zahl mitführen zu können, vergehen schon ein paar Stunden.

Neverwinter 1

Ein Shooter, der keiner ist

Prominent in der Mitte neben all den anderen Einträgen befindet sich ein Fadenkreuz. Sieht wie ein Shooter aus, ist aber keiner! Neverwinter ist für AnfängerInnen ideal, denn ihr müsst nicht exakt treffen. Habt ihr also in Overwatch und dergleichen Probleme mit dem Zielen, braucht ihr euch hier keine Sorgen zu machen. Je nach Klasse habt ihr unterschiedliche Kräfte, und so spielt sich jeder Charakter ein wenig anders.

Ein Kämpfer mit Turmschild blockt beispielsweise ganz in seiner Tank-Rolle ab. Ein Trickserschurke wiederum macht Ausweichrollen und ist nur schwer zu treffen. Ein Glaubenskleriker kann seinen Glauben für eine kurze Surf-Bewegung verwenden, und ein Vernichtender Hexenmeister sprintet mit der dunklen Magie vorwärts. Deckung gibt’s kaum in Neverwinter – hat euch ein Gegner ins Visier genommen, gibt’s auf die Zwölf.

Das funktioniert aber andersrum genauso und verkommt nach einigen Spielstunden zur Pflichtübung. Ja, die großen Feinde und Zwischen-/Endbosse fordern euch mehr als die kleinen Landschaftsverunstalter, die euch so gerne im Weg stehen. Fernkämpfer beginnen den Kampf aus sicherer Entfernung und müssen sich Sekunden später mit Ausweichaktionen beschäftigen, wohingegen Nahkämpfer immer mitten im Geschehen stehen.

Free to play, aber … naja …

Vorhin wurde schon angesprochen, dass es mehrere Währungen gibt. Da verwundert es kaum, dass es auch Echtgeld-Währung namens ZEN in Neverwinter gibt! Egal, ob ihr nun betet, Dinge identifiziert, eure Berufe ausnutzt oder ähnliches, für viele Aufgaben gibt es im Spiel diverse Belohnungen. Neverwinter macht das aber recht klug und schubst euch ganz unauffällig in den Laden. Vielleicht wollt ihr ja doch etwas kaufen.

Eure Gegner lassen nämlich ab Stufe 10 gerne mal so genannte Schatzladen fallen. Diese sind zwar schön anzuschauen und versprechen magische Gegenstände, sind aber nur mit passenden Schlüsseln zu öffnen. Richtig! Diese Schlüssel gibt es eigentlich nur zu kaufen, und da ist es egal, ob ihr auf Level 15, 30 oder 60 seid. Ab und zu erscheinen in Gefechten und Gewölben welche für euch als Endbelohnung, aber glücklich wird man so nicht.

Das ist zwar mittlerweile gang und gäbe, aber für mich ist das ein No-Go. Genauso sind es die Kleinigkeiten, die Neverwinter den ganz großen Durchbruch verwehren. Ihr könnt nach einer Falle oder einem Tod eine Verletzung davontragen. Einerseits meldet euch das Spiel in Riesenlettern „Euer Charakter hat eine Verletzung!“, andererseits steht in der Konsole links unten genau das Gleiche. Der Präfix [Fehler] macht den Spaß komplett.

Dass die Steuerung auf der PS4 massiv fordert, ist ebenfalls bereits angesprochen worden. Die Doppelbelegung von manchen Tasten ist für EinsteigerInnen echt hart zu lernen, und die visuellen Hinweise sind dafür einfach zu wenig. Auch im grafischen Bereich gibt es Mängel, da einige Texturen und Gegenstände erst aufploppen, wenn ihr hinseht. Das geht besser. Ich kann über den Framerate-Einbruch in den Städten hinwegsehen, aber wenn in einer geschlossenen Instanz die Flüssigkeit stimmt und dafür andere Mängel auftreten, scheint es, als wäre etwas schlampig gearbeitet worden.

Neverwinter 4

Kein Neverwinter Nights 3, aber ein MMO

Das Urteil fällt wenig überraschend aus: Wenn ihr auf MMOs steht, solltet ihr euch Neverwinter auf jeden Fall ansehen. Es gibt ein paar Schwächen, die aber mit Patches bestimmt behoben werden können. Schon alleine wegen der Tatsache, dass es nur wenige MMOs für PS4 gibt, gibt Neverwinter so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal mit auf den Weg.

Ein Rollenspiel ist es wahrlich nicht, dazu gibt es zu wenig frei begehbare Spielwelten. Fühlt ihr euch in Instanzen und einzelnen Gebieten wohl, ist das kein Thema. Die spielbaren Charakterklassen haben fest zugeteilte Rollen, da bringen auch die drei Spezialisierungsbäume bei den Talenten nur sehr wenig. Ihr entscheidet lediglich über die etwa letzten zehn Prozent eurer Charakterentwicklung, viel Unterschied macht das alles nichts.

Die Areale selbst sind jedoch abwechslungsreich. Mal befindet ihr euch in einer heißen Umgebung, dann wieder in einer Stadt, oder in einem Frostgebiet. Immer wieder schlagt ihr euch mit Gruppen von Gegnern herum, doch das macht ein MMO schließlich aus, oder? Neverwinter macht vieles richtig und sorgt mit seinem geradezu überwältigenden Umfang für mehr als 200 Stunden Spaß. Der Einstieg ist zwar unnötig fordernd und kann EinsteigerInnen abschrecken. Danach sorgt Neverwinter für einen Suchtfaktor, und das ist schlussendlich das Wichtigste!

Wertung: 8 Pixel

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