Ultra Street Fighter IV (PC) im Test
Alle heute bekannten Beat-’em-up-ProtagonistInnen gehen auf einen gemeinsamen Urvater zurück, schrieb Autor Patrick Miller einst in seinem Buch From Masher to Master. Wer nun sofort an den ewig wandernden Kampfazubi Ryu aus Street Fighter denkt, liegt goldrichtig. Der „Shoryuken“ des Mannes mit dem finsteren Blick, der vor Kurzem seinen 50. Geburtstag beging, ist nach wie vor gleichermaßen gefürchtet wie oft kopiert. Das dachten sich wohl auch die EntwicklerInnen von Capcom, die mit Ultra Street Fighter IV bereits den dritten Aufguss des Serienablegers mit der Kennziffer IV auf die Menschheit loslassen. Eines zur Beruhigung vorweg: Es stoßen keine weiteren Ryu-Klone zum Charakterauswahl-Bildschirm dazu.
http://youtu.be/aXsModduZdw
Die erste Frage, die sich mir beim Auspacken des Testmusters stellte, war: „Braucht man wirklich noch eine Erweiterung zu Street Fighter IV?“ Allein der zweite Teil der berühmten japanischen Kampfsportserie wurde in sieben Editionen für unzählige Plattformen veröffentlicht. Wenngleich die Namen der Ableger mit der Zeit immer skurriler wurden (Super Street Fighter II Turbo HD Remix …), so war die Serie doch seit jeher für solides Balancing, ein präzise durchdachtes Kampfsystem und eine vielfältige Schar satirisch überzeichneter und leicht identifizierbarer Charaktere bekannt. Konnte man bei Street Fighter 2 Turbo noch aus zwölf und bei Super Street Fighter 2 Turbo bereits aus 16 KämpferInnen wählen, so wuchs die Zahl innerhalb des vierten Serienteiles bereits von 25 auf nunmehr 44 KämpferInnen an. Für meinen Geschmack sprengt diese Fülle an Optionen schon die Grenzen des Zumutbaren, zumal, wie eingangs erwähnt, viele Einträge in der Liste lediglich austauschbare Kopien bekannter Charaktere sind (Evil Ryu). Das bringt mich auch gleich zu den Neuankömmlingen, von denen es in Ultra Street Fighter IV immerhin wieder fünf gibt.
Die neuen KämpferInnen: Nicht ganz neu, aber auch nicht ganz alt
Das Motto des diesjährigen Castings für Neuzugänge könnte man mit den Worten „noch mehr Klone“ beschreiben. Der bereits aus Final Fight und Street Fighter Alpha 2 bekannte Rolento ergänzt die Army-Riege rund um Guile und Cammy als flinker Allrounder mit Kampfstock und Barett. Um bei der fleischgewordenen Antwort auf Sexismus in Videospielen zu bleiben: Cammys böse sowjetische Zwillingsschwester Decapre ist der einzige wirkliche Neuzugang und enttäuscht dabei als liebloser Abklatsch ihres britischen Pendants. Ideenreicher spielt sich da schon die afrikanische Capoeira-Queen Elena, die ihr Debüt in Street Fighter 3 gab und als Crossover aus Dee-Jay und Dalshim auch VertreterInnen des Anti-Hadoken-Lagers ansprechen könnte. Den Beweis, dass auch die etwas betagte SFIV-Engine in der Lage ist, überdimensionale Sprites auf den Bildschirm zu zaubern, tritt der Respekt einflößende Hüne Hugo an, der mit seiner Lockenpracht fast aus dem oberen Rand des sichtbaren Bereiches ragt und sich trotzdem nur wie ein noch größerer, noch trägerer Zangief spielt. Zu guter Letzt hinterlässt Poison trotz gewagtem Ausschnitt und pinkfarbenem Haar einen derart nachhaltigen Eindruck, dass ich beim Schreiben dieser Zeilen direkt googeln musste, wer noch einmal der fünfte neue Charakter im Spiel war. Hartgesottene Street Fighter-Fans (an die sich die Serie definitiv richtet) könnten an dieser Stelle sicherlich das eine oder andere Argument liefern, wie tief greifend die neuen Charaktere sich auf die Balance und Vielfalt des Titels auswirken; NeueinsteigerInnen oder GelegenheitsspielerInnen jedoch werden von der schieren Masse der Auswahlmöglichkeiten einfach überfordert, im schlimmsten Fall sogar abgeschreckt werden. Für einen potenziellen fünften Teil der Serie würde ich mir eine Reduktion auf die Grundtugenden wünschen, mehr frische Ideen wie Rufus und weniger Ryu-Klone.
Der Urvater der Beat ’em Ups
Lange Zeit war es sehr ruhig um das Genre, das einst die Spielhallen dieses Planeten dominierte, und dafür gibt es meines Erachtens einen klaren Grund: Im Gegensatz zu anderen Gattungen der Spezies Spiel hat sich das Beat ’em Up weg von der breiten Masse hin zu einer elitären Gemeinschaft des eSports bewegt, die in Maßeinheiten wie „Frame advantage“ (Einzelbildvorteil) misst und sprachliche Monstrositäten wie „EX Red Focus Dash Canceling“ zum Grundvokabular erhebt. Für Außenstehende klingt das wie höhere Wissenschaft, die es QuereinsteigerInnen fast unmöglich macht, in Street Fighter Fuß zu fassen. Capcom ist sich des Umstandes wohl bewusst und verzichtet in USFIV gleich vollständig auf ein ansprechendes Tutorial oder auf KundenfängerInnen wie Zwischensequenzen, durchdachte Storylines und schicke Cutscenes.
Die Präsentation des Spiels wurde derartig reduziert, dass man den EntwicklerInnen beinahe schon Ignoranz unterstellen möchte. Versteht mich nicht falsch – Street Fighter war zu seinem Erscheinen kein hässliches Spiel und ist es auch heute – fünf Jahre später – noch nicht. Die Tusche-Effekte und Charakteranimationen können sich immer noch sehen lassen, aber zwischen den glänzenden Fliesen kommt eine ranzige Verfugung in Form lieblos hingeklatschter Auswahlmasken, halbherziger Ladebildschirme und unhandlicher Trainingsfunktionen zum Vorschein, die es mir echt schwer machen, dafür erneut rund 25 Euro hinzulegen. Liebe EntwicklerInnen, nehmt doch die neuen Charaktere in den äußerst lehrreichen Trial-Modus mit auf und zeigt den KäuferInnen, wie man mit den Neuerungen eures Produktes umgeht.
Technik-Check
Ich habe Ultra Street Fighter IV auf dem PC getestet, und als ambitionierter Spieler des Hauptprogramms kann ich auf eine lange Leidensgeschichte zurückblicken. Capcom war noch nie sonderlich bekannt dafür, tolle Konsolenportierungen zu produzieren, doch als Street Fighter 4 im Juli 2009 auch endlich für meine Lieblingsplattform erschien, war es obendrein an Microsofts Onlinedienst Games for Windows Live gekoppelt. Nachdem der Service letzten Endes den Weg des Dodos ging, unterzog Capcom seinen Vorzeigetitel lobenswerterweise einer kompletten Steam-Portierung, auf dessen Servern sich nun der Multiplayer-Teil abspielt. Doch auch andere Wehwehchen wie eine völlig verkorkste Tastatur- sowie Gamepad-Steuerung und ein Matchmaking-System, das der Hölle entsprungen sein dürfte, machten es nicht viel einfacher, das Spiel wirklich lieb zu gewinnen. Optisch gab es dabei gar nichts zu bemängeln. SFIV lief in voller Auflösung superflüssig, die Animationen und Effekte sahen schick aus, und die Charaktere versprühten den geradlinigen Charme ihrer zweidimensionalen Pixel-Pendants aus den Neunzigern. Mit USFIV hat sich vieles zum Besseren gewendet: Die Server laufen stabil, die Online-Funktionalitäten bieten eine breite Palette diverser Spectator- und Battle-Modes, und man kann das Spiel nun sogar unter Windows vernünftig mit dem Gamepad steuern. Wären da nicht die bereits genannten Bedenken betreffend der sonstigen Präsentation und der allgemeinen Ausrichtung des Spiels auf Hardcore-Fans, gäbe es seitens der technischen Umsetzung keine Bedenken und eine klare Empfehlung meinerseits.
Gameplay wie aus einem Guss
Kommen wir zu guter Letzt noch zu den Tugenden von Ultra Street Fighter IV: Nicht zu Unrecht trägt die Serie seit jeher die Genrekrone. Konkurrenten wie Mortal Kombat oder Tekken können in puncto Spielbalance, eSport-Tauglichkeit und Spielmechanik nur den Hut lüpfen und sich in die massentaugliche Nische der Buttonmasher zurückziehen. Denn auch Ultra Street Fighter 4 baut seine Stärken konsequent weiter aus und bereichert das Gameplay um einige sinnvolle Verbesserungen: So wurde hie und da ein wenig an der Ausgewogenheit der einzelnen KämpferInnen geschraubt, Spielmechaniken wie Focus-Attacken verändert und eine neue Red-Focus-Attacke eingeführt, mit der erstmals nicht nur einzelne Schläge, sondern ganze Schlagfolgen kompensiert werden können. Bei der Auswahl der beiden Ultra Combos (stärkste Angriffe jedes/jeder KämpferIn) steht nun eine Option zur Verfügung, beide Varianten in einem Kampf verfügbar zu haben, und so im Austausch für mehr Flexibilität etwas weniger Schaden hinzunehmen. Gerade im Onlinespiel gegen menschliche Gegner macht sich das hochkomplexe Schere-Stein-Papier-Prinzip deutlich bemerkbar, das es erlaubt, in fast jeder Situation mit einer präzise getimten Maßnahme das Ruder noch herumzureißen.
Fazit
Es war ein befremdliches Gefühl, nach langer Zeit der Abstinenz zu Street Fighter zurückzukehren, um ein vertrautes Bild von teilweise verhassten Dingen wie der schäbigen Weltkartenanimation vorzufinden: als ob man an die Stätten seiner Kindheit zurückkehrt und erkennt, dass es sich dabei trotz aller Nostalgie doch nur um einen langweiligen Innenhof mit alter, rostiger Schaukel handelt.
Klar wurde auch bei Ultra Street Fighter IV viel verbessert, und wenn man sich darauf einlässt, kann man tatsächlich für einen kurzen Augenblick die Euphorie der Neunziger mit der Street Fighter 2 Turbo-Cartridge im Supernintendo erahnen. Hätten auch alle meine alten Freunde Ultra Street Fighter 4 mit mir gespielt, würde dieses Fazit vielleicht weniger ernüchternd ausfallen, aber nach der fünften Perfect-Niederlage gegen einen asiatischen eSports-Profi vergeht die Freude rasch. Und ich weiß noch immer nicht, welche/n der 44 KämpferInnen ich mir nun wieder von Grund auf aneignen möchte …