Watch Dogs: Legion Review: London nach dem Brexit?
Am 29.10.2020 erscheint Ubisofts Watch Dogs: Legion für die Playstation 4, die Xbox One, sowie für Microsoft Windows. Nachgereicht wird das Game dann zum jeweiligen Launch der neuen Konsolen-Generation. Schon vorab durften wir den nun 3. Teil, der – wie schon die Vorgänger – ebenfalls als opulente Open-World-Sandbox daherkommt, für euch auf der PS4 testen. Dabei zeichnet Ubisofts Entwickler-Department aus Toronto ein sehr düsters Bild der englischen Hauptstadt.
London, das als Spielwelt für Watch Dogs: Legion fungiert, ist – eingebettet in eine nähere Zukunft – Schauplatz diverser Unruhen. Es regiert die Law-and-Order-Politik, durchgesetzt (oder soltle man besser sagen exekutiert) von einem privaten Militätkonzern, der rigoros gegen alle Wiedersacher vorgeht. Die wachsen allerdings vermehrt wie das Unkraut aus dem Boden. Londons Einwohner wollen sich dem Joch dieser emporgekommenen Tech-Organisation nicht einfach so unterwerfen. Das führt unweigerlich zu Protesten, gewaltsamen Aufständen und schließlich zu brutalen Anschlägen. Mitten in dieses Szenario werden wir als Spieler geworfen. Na dann viel Spaß mit Watch Dogs, man ist jetzt Teil einer Legion!
London nach dem Hard-Brexit
Bei all den Konfrontatione im Spiel passt es nur wie die Faust aufs Auge, dass sich Great Britain auf außerhalb der virtuellen Welt in einer verzwickten Lage befindet. Der Brexit spaltet das Land. Watch Dogs: Legion zeigt dahingehen warnend auf, in welche Gesellschaft man sich eventuell entwickeln könnte: neben einem Großteil der abgehängten Bevölkerung wird es ein paar wenige Emporkömmlinge geben, welche die prekäre Situation für sich (natürlich komplett uneigennützig) nutzen können. Im Spiel nimmt diese Rolle der Militärkonzern Albion ein, welcher den Takt in Englands Hauptstadt vorgibt. Eigentlich beängstigend. Auch deshalb, weil Albion und dessen CEO Nigel Cass erst durch das Aufkommen einer Crypto-Währung an die Macht kamen.
Daneben matchen sich noch weitere Partein im virtuellen London um die Vormachtstellung. Mary Kelley, eine gealterte Dame die aussieht wie die nicht-ganz-so-wohlerzogene-Sis von Queen Elizabeth, führt den örtlichen Mafia-Clan an. Skye Larsen, quasi das weibliche Gegenstück zu Elon Musk in Watch Dogs: Legion, führt den Technologie-Konzern BLUME an und verfolgt skrupellos ihre ambitionierten Ziele. Zu UK gehört natürlich auch eine waschechte Geheimorganisation. Im Spiel gibt es neben dem MI5 auch die sogenannte SIRS, die ebenfalls mächtig Dreck am Stecken haben. Und vergessen wir nicht die geheiminsvolle Hacker-Terror-Organisation Zero-Day.
Apropos Zero-Day: denen begegnen wir schon innerhalb der ersten Minuten des Spiels das erste Mal. Die heizen uns nämlich gerade zu Beginn so richtig ein. Aber genug der Rahmenhandlung, schließlich will in diesem Sandbox-Spiel das eigentliche Gameplay ja nicht unerwähnt bleiben.
Abwechslungsreiches Gameplay
Nach dem doch ereignisreichen Tutorial (in dem nichts geringeres als der größte Schicksalsschlag Londons nach der Pest und dem großen Feuer passiert) starten wir als Rekrut der kleinen aber feinen Widerstandsorganistion DedSec in das eigentliche Spiel. Der Name dürfte eingefleischten Watch Dogs-Fans natürlich bekannt vorkommen, stellt diese wieder dieselbe Organisation dar, wie auch schon in den vergangenen beiden Spielen. Von der KI Bagley als auch von der Chefin der neu formierten Londoner-DedSec-Zelle Sabine Brandt erhalten wir nun unsere ersten Aufträge. Erstmal gilt es, sich mit dem neuen Hacker-Dasein vertraut zu machen.
Brechen wir als unbescholtenes Untergrund-Blatt also mal in das Headquarter von Scotland Yard ein, um brisante Informationen aus deren Datenspeicher herunterzuladen. Nach dem Erfolgreichen Download machen wir uns schnellstmöglich aus dem Staub, nicht aber, bevor wir im gesamten Areal alles gelootet haben, was nicht Ding und Nagel fest ist. Open World Things halt. Man könnte an der Stelle jetzt ganz gemein zum Spiel und Entwickler Ubisoft sein und festhalten, dass dieser Vorgang im Prinzip alles ist was Watch Dogs: Legion grundlegend zu bieten hat. Und wirklich abweichslungsreich sind die Missionen allesamt wirklich nicht wenn man sie auf das Grundlegende Prinzip herunterbricht. Im Detail unterscheiden sie sich dann aber doch.
Mal müssen wir in den Tower of London einbrechen, was anscheinend nur funktioniert, indem wir zuvor ein Mitglied von Albion rekrutieren (wie das genau vonstatten wird später noch betrachtet). Mal müssen wir einen wertvollen Verbündeten aus dem Gefängnis holen. Mal brechen wir in das Haus einer Milliardärin ein, um das Rätsel ihres mysteriösen Verschwindens aufzudecken. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch müssen wir per Fluchtfahrzeug von den örtlichen Behörten fliehen – ohne dabei die halbe Stadt umzumähen versteht sich.
Innerhalb dieser groben Prämisse bewegt sich das Spiel sehr frei. Wir können uns – wie immer schon in Watch Dogs üblich – einfach per Hack Zugang zu den Terminals und Überwachungskameras verschaffen, um so Tore zu öffnen. Oder wir kapern eine Frachtdrohne, die uns schnurstracks auf das Dach des jeweiligen zu infiltrierenden Gebäudes bringt. Im Spiel gibt es weiters alle möglichen Arten von Drohen. Neben den Fracht- und Geschützdrohnen stehen uns auch kleinere Vertreter zur Verfügung.
In fliegender- oder zu Land in Spinnenform helfen uns diese dabei, für den Menschen unzugängliche Areale wie Lüftungsschächte zu betreten. Was mich dabei sehr überrascht hat ist, das sich die Entwickler gerade für diese Passagen etwas überlegt haben. So fliegt man mit der kleinen Drohne nicht einfach nur durch schmalste Server-Kammern, sondern muss sich quasi wie durch einen Hindernissparkour bewegen. In diesen Phasen wechselt das Game das Genre fast schon hin zu einem Jump ‘n’ Run.
Um noch einmal auf die vielen Möglichkeiten der Einbrüche zurückzukommen: Man kann aber auch (so wie ich sehr oft) einfach einmal rund um den Häuserblock schleichen. Da hat sich bis jetzt noch immer eine Möglichkeit geboten, einfach über den Zaun zu klettern. Das es wirklich bei (fast) jeder Mission die exakt 3, 4 gleichen Möglichkeiten der Infiltration gibt, ist dann doch nicht ganz so einfallsreich von Ubisoft. Hier muss man sich praktisch nie Gedanken machen, wie man die Quest nun angeht.
Sightseeing in London
Dabei handelt es sich wie erwähnt nur einmal um die Haupt- und Nebenmissionen von Watch Dogs: Legion. Nicht zu vernachlässigen ist die wirklich schön von Ubisoft aufbereitete Open World. London wirkt dabei sehr lebendig. Klar ist, dass nicht Millionen von Leuten auf den Straßen unterwegs sind. Im Kontext des Settings, wo man in Krisenzeiten sich sowieso lieber hinter den eigenen vier Wänden verbarrikadiert als unbedarft hinaus zu gehen, macht das aber absolut Sinn. Dennoch herrst natürlich in einer solchen Millionenstadt geschäftiges Treiben. Die Einwohner gehen ihren geregelten Tagesabläufen nach, verabreden sich nach der Arbeit zur Demonstration am Trafalgar Square oder betrinken sich lieber in ihrer Stammkneipe.
Auch wir als Charakter können diese Möglichkeiten in Anspruch nehmen. Allerdings auch noch noch eine Vielzahl mehr. Neben den – ganz Open World-typisch – diversesten kosmetischen Einstellungen, die man vornehmen kann, bietet London auch überall kleinere Side-Aktivitäten an. In einem Park konnte ich etwa meine Geschicklichkeit beim “Gaberln” mit dem Fußball testen, indem man eine vorgegeben Tastenkombination in einer gewissen Zeit drückt. Um einen Stadtteil gegen die Unterdrückung durch Albion aufbegehren zu lassen ist es außerdem Notwendig, möglichst viel DedSec-Propaganda in Form von Graffiti oder elektronischen Plakatwänden zu verbreiten.
Diese müssen aber erst einmal erreicht werden. Um den Schalter für das Umfärben der Plakatwand zu erreichen, musste ich erst einmal mit dem Spinnenbot einen Weg hinein finden. Gerade in diesen kleineren Momenten im Game wird klar, dass diese Art von Rätsel auch eine gewisse Abwechslung parat hält, die ich Watch Dogs: Legion in der Form nicht zugetraut hätte. Das Gleiche gilt für die Momente, wo man Energieverbindungen entsprechend legen und so Generatoren in Gang bringen muss. Nichts davon erreicht eine wahnsinnige Spieltiefe, macht aber zu jeder Zeit Spaß, lockert das Game auf und trägt unheimlich zum guten Pacing bei.
Verspielter USP
Alles top in Watch Dogs: Legion also, oder? Nicht ganz! Denn das Spiel hat bei allen guten Punkten eine große Schwäche und das ist der von Ubisoft-Seite immer wieder propagierte Unique Selling Point (USP). Daran, dass man “jeden Einwohner in London” im Game spielen wird können, haben viele Skeptiker von Anfang an nicht geglaubt. Tatsächlich hat man dieses Versprechen zumindest eingelöst. Egal wen man wo auch immer trifft, es besteht die Möglichkeit, diese Person zu rekrutieren. Mal dauert das länger, mal kürzer. Mal schlägt der Versuch auch einfach komplett fehl, weil man die zu rekrutierende Person ungewollt verärgert.
Allerdings bei all diesen Möglichkeiten der Mehrwert aus diesen Rekrutierungen überschaubar. All die im oberen Gameplay-Kapitel beschriebenen Tätigkeiten habe ich mit ingesamt 5 Charakteren durchgeführt. Zusätzliche Einwohner Londons musste ich aus rein spieltaktischer Sicht nie anheuern. Dafür ähneln sich alle steuerbaren Personen zu sehr. Egal ob einfacher Bauarbeiter, übergelaufener Albion-Spion oder ambitionierter Jung-Anwalt. Alle sind dank DedSec-Werkzeugen direkt in der Lage beliebige Hacks durchzuführen. Das Gleiche gilt für die Anwendung von Waffen. Ich muste nicht extra einen gealterten Kriegsveteranen anheuern um eine halbe Armee mit der Schrotflinte wegblasen zu können. Das erledigt ein auf der Straße aufgegriffener Friseur genauso gut.
Zusätzlich zur fehlenden spielerischen Tiefe geht hier außerdem die Immersion flöten. Man spricht im Game ja einfach random Leute auf offener Straße an, wechselt ohne Übertreibung nur einen eizigen Satz mit ihnen, woraufhin sie begeistert rufen:”du bist von DedSec, richtig?! Bitte hilf mir! Mein Nachbar braucht unbedingt einen gefälschten Pass!”. Zur Erinnerung: DedSec gilt in der öffentlichen Wahrnehmung Londons als gefährliche Terror-Organisation. Just saying!
Aber wir erledigen diese vergleichsweise leichte Übung natürlich im Handumdrehen und kehren zur Zielperson zurück. “Wow, danke! Jetzt da ihr so freundlich zu mir wart, möchte ich ohne weitere Nachfrage Mitglied in eurer kleinen Terror-Zelle werden”. Sorry, aber das funktioniert für mich in der Form überhaupt nicht. Es gibt Open World-Spiele wie etwa Ghost of Tsushima, die das vergleichsweise besser hinbekommen. Es muss ja nicht gleich ein epischer Spiesrutenlauf quer durch ganz London werden. Aber eine etwas realistische Darstellung wäre doch bei der Fülle an Entwicklungszeit drin gewesen.
Ich habe drauf gehofft, dass sich der Vorgang der Rekrutierung bei DedSec-abgeneigten Personen als schwieriger erweist. Erklärte Albion-Fanboys werden innerhalb einer einzigen Mission aber zu passionierten Verfechtern für die gute Sache. Eine weitere verpasste Chance Charaktere mehr Tiefgang zu verleihen. Natürlich ist es nicht möglich für jeden Einwohner seine eigene Origin-Story zu verfassen. Sich aus Entwickler-Sicht aber zumindest Gedanken über sagen wir 30 verschiedene Profile (denn das ist ungefähr die Anzahl an Rekruten, die man gleichzeitig in der Organisation haben kann) zu machen, wäre drin gewesen. Das Spiel dan berechnen zu lassen, welchen davon wir bereits bekehrt haben, ebenso.
Nicht falsch verstehen: Watch Dogs: Legion macht mit der Herangehensweise an das Thema nicht wirklich etwas falsch. Damit verpasst Ubisoft allerdings die (vielleicht einmalige) Chance, ein aus der Masse herausstechendes Spiel vorzulegen. Das ist nämlich nicht gelungen. Dafür sind sich die Charaktere einfach viel zu ähnlich. Überall finde ich Obdachlose, Finanzexperten, Mechaniker oder Rentner, die denselben Bonus auf Nahkampfschaden aufweisen können.
Und wenn ich nach einigen Spielstunden eine kleine Privatarmee einmal beisammen habe, dann spielt sich die Hälfte davon nahezu identisch. Es macht keinen Unterschied, ob ich das Hauptquartier der Londoner-Mafia mit einer gerade erst zu DedSec gestoßenen Floristin infiltriere oder eben mit meinem Super-Spion erster Stunde. Der Output bleibt gleich. Veränderung gibt es im Gameplay nur, wenn ich mich als Spieler aktiv für einen anderen Stil entscheide, nicht aber, weil mich das Spiel aufgrund des Gamedesigns dazu “zwingt”.
Watch Dogs: Legion Review-Fazit: Angezettelte Revolte ohne ganz großen Wurf
Es macht zwar irrsinnig Spaß in der Open World der Londoner Innenstand herumzudüsen, gerade wenn man die Schauplätze schon einmal genau in der Form live erlebt hat, Story und Gameplay werden mit Fortdauer der Handlung immer abwechslungsreicher und spannender. Dennoch hat Watch Dogs: Legion hat ein großes Problem: das Spiel ist nicht herausfordernd genug.
Zu keinem Zeitpunkt fühle ich mich von KI, Rätseln oder Levelarchitektur unter Druck gesetzt. Missionen kann ich so ohne groß darüber nachdenken zu müssen immer auf die gleiche Art und Weise abschließen. Ich infiltriere das feindliche Gebiet, erledige ein paar Halunken aus dem Hinterhalt, ballere mich durch den Rest und hacke mich dabei noch in 2, 3 Systeme. Fertig.Gedanken über einen etwas anderen Spielstil mache ich mir dabei nur, wenn der oben genannte nach einigen so durchgeführten Missionen doch beginnt langweilig zu werden. Ein absolutes Muss ist das auf dem bis dato mittleren von 3 Schwierigkeitsgraden nicht. Diesen hochzuschrauben bringt hier auch wenig, werden doch nur die üblichen Paramter von Feinden angepasst, nicht aber logischerweise die Level.
Der USP von Watch Dogs: Legion greift somit überhaupt nicht. Wirklich jeden Charakter in London übernehmen zu können fällt somit mehr in die Kategorie “nettes Gimmick” als perfekt zu Ende gedachtes Konzept. Das Polishing wäre auf jeden Fall noch besser gegangen. Gerade wenn man sich vor Augen führt, dass der eigentliche Release des Spiels ja schon Anfang des Jahres gewesen wäre, man also gut ein halbes Jahr an zusätzlicher Entwicklungszeit gehabt hat um dem Spiel noch einmal den Feinschliff zu verpassen, den es sich verdient hätte.
Auf der anderen Seite darf man Ubisoft durchaus für diesen ambitionierten Schritt auf die Schulter klopfen und sie zu neuen Höchstleistungen anspornen. “Das war definitiv ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist noch kein Meister vom Himmer gefallen. Übung macht den Meister!” Irgendso etwas. Und ich würde noch abschließend hinzufügen: “auch wenn das Feature noch nicht perfekt ist, so hab ich doch einige echt tolle Stunden im Game mit Rätseln, Verfolgungsjagden, Schießereien, Minispielen, Flachwitzen, und und und verbracht. Wenn ich wieder einmal Lust auf London habe, schnapp ich mir entweder ein Flugticket nach London Heathrow oder starte die Watch Dogs: Legion-App auf meiner Playstation”. In Anbetracht des drohenden Brexits wird die Wahl dann wahrscheinlich eher auf letzteres fallen.