Wenn aus Spielspaß Ernst wird – Das Thema „Flucht“ in Videospielen
Flüchtlinge sind in den Medien derzeit omnipräsent. Selbst die Unterhaltungsindustrie kann sich dieser brenzligen Thematik nicht mehr entziehen. Die Rede ist von Serious Games – Spielen wie u. a. This War of Mine, deren Aufgabe es ist, den SpielerInnen schwer im Magen zu liegen und sie wachzurütteln. Ich habe mich mit Tobias Hammerle vom österreichischen Kulturverein „gold extra“ über ihr im September erscheinendes Werk From Darkness, den indirekten Vorgänger Frontiers, sowie über Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit solcher spaßbefreiten Spiele unterhalten.
Beyond Pixels.at: Hallo Tobias! Erklär mir doch bitte zuallererst einmal, wie es überhaupt dazu kam, dass ihr das Genre der Serious Games für euch entdeckt habt. Sind Spiele, die derart brisante Themen wie aktuell die Flucht nach Europa aufarbeiten, überhaupt notwendig?
Tobias Hammerle: Also wir bei „gold extra“ arbeiten nach dem Motto „Die Idee schafft die Form“. Wir haben ein Thema, das uns interessiert, und dann schauen wir, wie wir das verarbeiten können. Es hätte ja auch ein Theaterstück oder Ähnliches sein können, aber wir haben uns aus diversen Gründen für ein Spiel entschieden. Wir wollten zum einen eine komplett andere Zielgruppe ansprechen, als es eben ein Theaterstück macht. Leute, die sich – wie ich jetzt mal mutmaße – normalerweise nicht mit solchen politischen Themen befassen. Es hatte schon etwas Schelmisches, dieser Personengruppe auf diese Art das Thema „unterzujubeln“. Zum anderen war es schon auch der Gedanke, diese Orte und diese Situation immersiv wahrnehmbar zu machen – in diesem Fall aber nicht auf GamerInnen beschränkt, sondern für jedermann.
Flucht erzeugt, weil sie so sehr in den Medien vertreten ist, bei vielen Leuten mittlerweile eine Art „weißes Rauschen“ und geht so – trotz oder eben aufgrund dieser weitreichenden Berichterstattung – unter. Darum wollten wir mit Frontiers diese Thematik aus der First-Person-Perspektive heraus vermitteln. Insofern ist es definitiv auch eine Notwendigkeit, die sich stellt!
BP: Mit Frontiers begann die spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht. Jetzt steht das Prequel From Darkness kurz vor seiner Veröffentlichung. Worum geht es darin? Was sind die Unterschiede?
TH: Wir haben uns zwar auch schon zuvor auf unterschiedlichste Arten mit dem Thema Flucht beschäftigt, aber ja, die „spielerische“ Auseinandersetzung begann mit Frontiers. Die Entwicklung ist dennoch von intensiven Vor-Ort-Recherchen geprägt: Wir haben uns selbst ein Bild von der dortigen Lage gemacht. Wir konnten so auch sehen, mit welchen High-Tech-Anlagen Leute dort vom Betreten der Festung Europa abgehalten werden – die zuständige Firma, Frontex, bekommt ja die höchsten Zuschüsse von allen europaweiten Projekten.
https://youtu.be/GHJRPIJE3Xk
From Darkness habe ich zwar ein Prequel genannt, aber per se ist es keines. Thematisch sind die Spiele zwar durch die Flucht aneinandergeknüpft, aber es gibt keine Anschlüsse in Sachen Story oder so. From Darkness ist eine Art dokumentarisches Adventure aus der Egoperspektive, das vor allem einen sehr ungewöhnlichen, collagenartigen Stil hat. Es geht darin um eine Mutter, die den Spuren ihrer Tochter – einer in Afrika verschollenen Journalistin – folgt. Sie will verstehen, was ihre Tochter überhaupt dort recherchierte und was sie dort wollte.
Zwischendurch fügen wir dann ins Spielerlebnis dokumentarische Ausschnitte, um so auch den Leuten dort eine Stimme zu geben. So sollen die Gründe für Flucht erläutert werden, also was einen Menschen dazu zwingt, die Heimat, die Familie, kurz: das bisheriges Leben zurückzulassen. Außerdem wollten wir damit auch weniger bekannte Konflikte, wie beispielsweise die Ressourcen-Kriege im Ost-Kongo, beleuchten. Viele Leute wissen meist nicht, dass der Kongo-Krieg zwischen 1999 und 2003 die zweithöchste Opferzahl nach dem Zweiten Weltkrieg verursacht hat!
Frontiers ist da ganz anders. Für alle, die es nicht kennen: Es handelte sich dabei ursprünglich um eine Multiplayer-Modifikation für Valve’s Ego-Shooter Half Life 2, die man mittlerweile als Standalone-Spiel über unsere Website downloaden kann. Als Location dient die Grenze Europas, also beispielsweise Ceuta in Spanien und andere Hotspots im Zusammenhang mit diesem Thema. Die Leute sind in zwei Teams zu je acht SpielerInnen aufgeteilt. Flüchtlinge, die in die sogenannte Festung Europa kommen wollen, einerseits, und GrenzpolizistInnen, die sie davon abhalten wollen, andererseits. Ich möchte auch erwähnen, dass es uns bei Frontiers immer um eine gute Spielbarkeit ging. Anfangs war sogar im Gespräch, die GrenzerInnen nicht mit Schusswaffen auszurüsten, aber wir brachten sie dann doch ins Spiel, weil es uns eben um gutes gruppendynamisches Gameplay und Entscheidungsfreiheit der SpielerInnen ging. Es sollte ein Spiel sein, das nicht nur einmal vom Lehrer oder der Lehrerin im Unterricht präsentiert wird und dann sofort aus den Köpfen der SchülerInnen verschwindet.
BP: Mediale Aufmerksamkeit hat Frontiers definitiv erregt. Wie sieht es aber mit den UserInnen aus? Wie sind die Reaktionen?
TH: Nach diesen Reaktionen haben wir natürlich immer auch aktiv gesucht. Wir sind auf Messen gegangen, haben Leute direkt im Internet darauf angesprochen. Teilweise kamen die UserInnen auch auf uns zu. Es ging uns vornehmlich um Bewusstseinsschaffung, darum, die Geschichten der Flüchtenden darzustellen und ihnen eine Stimme zu geben.
Ein konkretes Beispiel fällt mir jetzt gerade ein. Wir wurden in einer ländlichen Gegend von einem Kulturverein für eine lokale Messe, auf der auch die „Kastelruther Spatzen“ (eine volkstümliche Band, Anm.) waren, gebucht. Als vor allem dann junge Ansässige zu uns kamen, waren sie teilweise mit dem Begriff „Flüchtling“ nicht vertraut, wussten nicht, wen oder was wir damit meinten. Und irgendwann kam dann einer darauf und sagte ganz erstaunt und leicht verächtlich „Ah, ihr meints Asylanten!“ Da haben wir dann schon ein bisschen geschluckt und viel Aufklärungsarbeit leisten müssen, um eben überhaupt einmal ein Grundbewusstsein zu schaffen. Danach war das Feedback aber sehr positiv!
Generell ist es so, dass es anfangs oftmals Unverständnis gibt. Aber wenn man dann durch Frontiers oder From Darkness in Kontakt mit den unterschiedlichsten Leuten kommt und mit ihnen darüber spricht, dann erreichen wir unser Ziel, das, wie bereits gesagt, die „Awareness“ ist.
BP: Wie sieht es mit der Sinnhaftigkeit von Serious Games wie Frontiers oder From Darkness aus? Steckt in solchen Games das Potenzial, ein Umdenken in Gang zu setzen?
TH: Das kann meiner Meinung nach auch bereits ein guter Dokumentarfilm. Aber umso mehr schafft es natürlich ein Spiel. Ich kann sozusagen in die Haut von Flüchtenden schlüpfen und selbst deren Erfahrungen machen. Oder die Rolle der GrenzerInnen einnehmen. Da kannst du dann eben moralische Entscheidungen treffen: ob du schießt, dich bestechen lässt oder dergleichen.
So etwas hängt dann natürlich auch wieder stark von der Gruppendynamik ab, aber genau das ist das Spannende daran: zu sehen, wie Leute sich in unterschiedlicher Konstellation verhalten, ob sie zu Waffengewalt greifen oder eben nicht. Das heißt aber nicht, dass Frontiers zur Schießbude wird, denn es gibt natürlich Sanktionen, wenn man die Flüchtlinge einfach abschießt – das ganze Team bekommt dann letztlich viel weniger Punkte. Ersichtlich wird das mit dem Taubensymbol, dem Human-Rights-Indicator. So werden die falschen Entscheidungen des einen/der einen zur Strafe für alle! Das ist ja auch im echten Leben immer wieder so.
Dass es wirklich ein Umdenken bei einseitig geprägten Menschen in Gang setzen kann, das möchte ich mir jetzt nicht anmaßen, aber erneut kann ich nur wiederholen, dass es uns um Bewusstseinsschaffung geht. Man muss dazusagen, dass es vornehmlich in Gegenden, die gar nicht oder zumindest nicht stark mit MigrantInnen „belastet“ sind, zum größten Ausländerhass kommt. Insofern können wir definitiv mit Frontiers oder From Darkness unseren Beitrag leisten.
BP: Jetzt hast du noch die Möglichkeit, unseren LeserInnen persönlich etwas mit auf den Weg zu geben.
TH: Der Kontakt ist das, was Verständnis und Bewusstsein schafft! Geht zu irgendwelchen Flüchtlingsheimen, sprecht mit den Leuten und lernt sie und ihre Geschichten kennen. Ihr habt nichts zu verlieren, sondern nur zu gewinnen!
BP: Danke für das Interview und viel Erfolg mit From Darkness!
From Darkness erscheint im 4. Quartal 2015 für PC und Mac und ist dann über die Homepage www.goldextra.com kostenfrei zum Download erhältlich. Frontiers steht ebenfalls auf der Seite gratis zum Herunterladen bereit!
Das Ende der Angst!
Fakt ist: Nicht nur die Grafik wird zukünftig realitätsnäher, sondern auch die Thematiken, mit denen sich die mittlerweile offiziell als Kulturgut anerkannten Videospiele beschäftigen. Die Flucht in virtuelle Welten funktioniert nicht mehr, wenn Flucht aus Krisengebieten Teil der Spielerfahrung wird.
Flüchtlinge sind momentan leider noch ein rotes Tuch für viele besorgte BürgerInnen. Und jetzt halten Asylsuchende auch noch Einzug in die ehemals so launige Spaßgesellschaft der Games? Liebe/r WutbürgerIn: Hoffentlich findest du in diesen „ernsten Spielen“ endlich etwas zum Nachdenken, Mitfühlen – und das Ende der unbegründeten Angst!